Die Ungarn. Ein Jahrtausend Sieger in Niederlagen.Paul Lendvai
Gebundene Ausgabe
Eines der großen Rätsel des vor tausend Jahren seßhaft gewordenen ehemals berüchtigten und gefürchteten Reitervolkes der Ungarn ist seine Sprache. Deren Ursprung ist bis heute umstritten. Fest steht jedoch, daß sie mit den Sprachen sämtlicher Nachbarn nichts, aber auch gar nichts gemeinsam hat. Lediglich das Finnische weist eine ferne Verwandtschaft mit dem Ungarischen auf. Aber nicht wegen ihrer Sprache sind die Ungarn der Sonderfall der europäischen Geschichte. Auch die Art und Weise, wie dieses kleine Volk mit seinen nicht wenigen historischen Katastrophen - Unterwerfungen und verlorenen Kriegen, faschistischen und kommunistischen Diktaturen - fertig wurde, ist einigermaßen einzigartig. Auch in ihren Niederlagen sind sie, so zumindest die These, die dem jüngsten Buch Paul Lendvais den Untertitel gab, am Ende siegreich gewesen. < P> Abgesehen von den Albanern seien die Ungarn "das einsamste Volk Europas", so lautet die andere zentrale These des ungarisch-österreichischen Journalisten und Publizisten. Und wenn Einsamkeit eine ihrer Ursachen in der Fremdheit hat, dann kann die mit diesem Buch vorgelegte Geschichte der Ungarn ein Beitrag dazu sein, die Einsamkeit dieses Balkanvolkes zu lindern, das im übrigen wie kein anderes europäisches Volk Fremde zu assimilieren verstanden hat. Die ebenso fundierte wie flüssig geschriebene Darstellung des - laut Selbstauskunft - "nach vierzig Jahren in Wien zum Österreicher gewandelten gebürtigen Ungarn" ist jedenfalls rundum geglückt. Lendvai schildert die Geschichte der Magyaren mit großer Detailkenntnis, ohne sich aber im Detail zu verlieren. Er erzählt manche Anekdote, ohne je ins Anekdotische abzugleiten. Ein fundiertes Geschichtswerk ohne den Staub, der mit historischen Gesamtdarstellungen oft gleich mitgeliefert wird, leicht aber nicht leichtfertig. Eine ausführliche Zeittafel mit den Eckdaten der ungarischen Geschichte und eine Auswahlbibliographie runden das Werk ab. < I>-Andreas Vierecke Amazon. de Schwerpunktthema der Frankfurter Buchmesse 1999 ist Ungarn. Pünktlich dazu präsentiert sich eine neue Geschichte Ungarns, im Untertitel Ein Jahrtausend Sieger in Niederlagen. Die Vorgeschichte der Ungarn im Dunkel der Völkerwanderungen bildet den Auftakt. Einzigartig in Europa das Überleben der Kulturnation Ungarn (sprachlich nur mit den Finnen verwandt), einzigartig auch die Assimilationsleistungen, durch die sich Deutsche, Rumänen, Polen und Juden dann auch schnell als Ungarn verstanden. Als " Geisel Europas" im 10. Jahrhundert nach etwa fünfzig Beutezügen schließlich 955 auf dem Lechfeld von Otto dem Großen besiegt, wurden die Ungarn später vor allem von der deutschen Geschichtsschreibung gerne mit den Hunnen Attilas in einen Topf geworfen, und auch die eigene ungarische Historiographie bezieht mythischen Glanz aus dieser immer wieder verklärten Zeit der Landnahme im Donaubecken. 896 gilt als offizielles Geburtsjahr des ungarischen Staates in der großen und damals weitgehend unbesiedelten Tiefebene. 350 Jahre später wird das damals große ungarische Königreich 1241 im Mongolensturm der Erben Dschinghis Khans nahezu vernichtet. In der nachfolgenden Geschichte - nachdem Ungarn im 15. Jahrhundert kurz an der Schwelle zur europäischen Großmacht stand - beginnt im 16. Jahrhundert die gemeinsame (staatliche) Geschichte mit dem Habsburger Reich. Zunächst als Erbvertrag und mit dynastischen Heiraten. Später werden die Österreicher lange Zeit als Fremdherrscher empfunden, bis endlich durch die institutionalisierte Doppelmonarchie die formale Gleichstellung mit Österreich erreicht wird. Oft geteilt in verschiedene ungarische Staaten (unter türkischer und österreichischer Herrschaft) gibt es einige heldenhafte Revolutionen und Aufstände in der ungarischen Geschichte (1848, 1956, 1988/89), die auch in die gesamteuropäische Geschichte eingebettet sind. Die letzten beiden, 1956 der Ungarnaufstand und 1988 die Ablösung des Kádár-Regimes und die Ablehnung der sowjetischen Hegemonie, standen am Anfang der Auflösung des Ostblocks, die zum Ende der Sowjetunion und des Warschauer Paktes führten. 1100 Jahre Geschichte mit und in Europa bis in unsere Tage werden von Paul Lendvai packend und farbig dargestellt. Als Ungar jüdischer Herkunft, der seit vierzig Jahren in Wien lebt, meint er über genügend Abstand auch gegenüber den heiligen nationalen Mythen der Ungarn zu verfügen. In einer Mischung aus geschichtlichem Überblick, biographischen Skizzen und Milieugeschichten schildert er die Magyaren aus freundlicher, aber auch kritischer Distanz. -Jörn Polhammer
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