Der digitale Wahn (edition suhrkamp)Taschenbuch
Sie sind bereits in der Überzahl! Den sechs Milliarden Menschen stehen schätzungsweise 14 Milliarden Mikroprozessoren gegenüber. Es gibt praktisch keinen Lebensbereich mehr, der ohne Mikroelektronik auskommt. Weil wir in unserem Alltag von den digitalen Errungenschaften so umwoben sind, kommt "die notwendige Reflexion darüber oft zu kurz" - ein Defizit, das diese lesenswerte Anthologie wettmachen möchte. Das Titelschlagwort vom "digitalen Wahn" führt aber eher in die Irre: Hier sind keine Maschinenstürmer am Werk, keine Berufspessimisten, die plakativ-provokant zum " Log Out" aufrufen würden. Die Autoren verweisen in ihren klugen und ausgewogenen Essays - unter anderem über computergenerierte Bilderwelten, die Vor- und Nachteile des " Learning by Surfing", die Veränderung der Arbeitswelt durch die Computerisierung und die Mühen der Mensch-Maschinen-Interaktion - vielmehr auf die Dialektik des technologischen Fortschritts. " Niemals zuvor hat eine Technologie Sein und Bewußtsein derart verändert, wie dies durch die massenhafte Verbreitung der Mikroelektronik der Fall ist. " Und das obwohl wir es den meisten Fällen gar nicht merken, wenn wir es mit ihr zu tun haben - ein Auto etwa enthält heutzutage mehr als 200 Mikrochips, die im Verborgenen brav ihren Dienst tun (oder manchmal auch nicht). Interessanter und problematischer ist die direkte Interaktion mit der Technik: Das im Alltag erlebte Defizit zwischen den technischen Möglichkeiten und der eigenen Nutzungskompetenz kann aus dem " User" schnell einen " Loser" werden lassen. " Technostress" kann die Folge sein oder eine resignative Verweigerungshaltung, wenn man beispielsweise den neuen Videorecorder trotz - beziehungsweise gerade wegen - seiner Vielzahl von Features und Bedienmöglichkeiten nur noch als bloßes Abspielgerät benutzt. Weil nicht nur die " Featuritis" der Geräte zunimmt, sondern auch die Komplexität der auf uns einstürzenden Informationen, schlägt Wolfgang Henseler konsequenterweise den Einsatz "persönlicher Interface-Agenten" (eine Art "digitale Butler") vor, die eine Filter- und Vermittlerfunktion übernehmen. Den Feinden der Mikroelektronik gibt das Buch zumindest jenen Trost mit auf den Weg, dass deren Tage bereits gezählt scheinen - schon ab 2020 soll eine "biologische Wende" das Ende der Mikroelektronik einläuten. Spannend wird es auch dann bleiben, das endlose Kapitel über den Umgang des Menschen mit seiner Technik. < I>-Christian Stahl
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