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Du, mein Licht in dunkler Nacht
Ein Liebesroman von Peter Althammer
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Die Sehnsucht
Johnny saß längst mit seiner Mimmi in einer
gemütlichen Pokerrunde. Die Gartenarbeit war längst im
Verlaufe des Tages erledigt, die Besorgungen für die
wöchentliche Verpflegung seiner Großmutter eingekauft und
in der Küche sorgfältig gelagert. Wie fast jedes Wochenende
stellte das Pokern für seine Mimmi das höchste Ereignis
dar. In diesem Falle waren sie hierbei immer zu Dritt. Es war ein
Nachbar, übrigens auch ein Unikat seines Gleichen. Sir Peter von
Pfefferberg. So wollte und wurde er auch von Mimmi und Johnny
genannt. Sir Peter ist ein Mann von erheblich kräftiger Statur.
Nicht im Sinne proportionierter Form, sondern von einem gut
durchtrainierten Körper, so dass man seine zweiundsiebzig
Jahre wahrlich nicht ansah. Sein einziger Makel, er trug für
sein Alter ein viel zu kräftiges braunes Toupet als
Haarersatz, was natürlich auffiel. Doch sich Lustigerweise daran
zu ergötzen oder aufzubauen, kam für Mimmi und Johnny nicht
in Frage. Hierbei galt das altbewährte Sprichwort, jedem das
seine. Sir Peter war zwar ein bisschen sonderbar und das im wahrsten
Sinne des Wortes, was Mimmi und Johnny natürlich nicht entging,
dennoch eine Seele von Mensch. Er war stets bis ins kleinste Detail,
dem Tag und dem Anlass entsprechend, ja bis aufs I-Tüpfelchen,
im höchsten Maße formgewandt, gekleidet und bis zur
Vollendung ein charmanter, galanter Charmeur. Und was natürlich
nicht fehlen durfte, Gentlemen. Zudem machte er, zwar versteckt und
das seit vielen Jahren und in brillanter Eigenart, Johnnys Großmutter
den Hof. Er achtete stets auf seine Aussprache und auf absolutes
sittenstrenges Benehmen, was Mimmi sehr an ihm zu schätzen
wusste. Sir Peter war übrigens der einzige Mann, natürlich
außer Johnny und dem Postboten, der etwa schwerere Päckchen
gleich hinein trug, ins Haus durfte. Andere Fremde der Männerwelt,
wurden höflichst mit einem Tadel in die große weite Welt,
geschickt. Natürlich tat Mimmi so, als würde sie sich für
Sir Peter nicht im geringsten Interessieren. Doch stillschweigend
bzw. unbemerkt, schenkten die beiden sich ab und an Blicke, die alles
aussagten, ja sogar manches Mal ein klein wenig enthüllten.
Worüber Johnny natürlich unbemerkt schmunzelte. Er fand es
einfach süß, wie die beiden und das noch in so hohem
Alter, miteinander versteckt flirteten. Sir Peter von Pfefferberg
war für Johnny nicht nur wie schon angedeutet ein Unikat seines
Gleichen, aber zu Anfangs und teilweise heute noch ein Rätsel.
Einmal fragte Johnny ihn, wie er denn zu diesem kuriosen Titel kam.
Und Sir Peter erzählte seine kleine Geschichte dazu, die aber
für Johnny ein kleinwenig von der Realität abwich. Was
Johnny aber für sich behielt.
Sir Peter erzählte, dass er das Glück hatte,
fast 20 Jahre in der feinen und hochadeligen englischen Gesellschaft,
natürlich in hoher Position, arbeiten und leben zu dürfen.
Des weiteren berichtete er, dass er damals als Botschaftsbeauftragter
inkognito in wichtigen politischen Verhandlungen zwischen
Deutschland und England vermittelte. Da er seine Aufgaben mit Erfolg
meisterte, verlieh im seine Hoheit und Majestät, die Königin
Mutter von England, höchstpersönlich diesen Titel. Fortan
wurde sein Name mit (Sir) Peter von Pfefferberg gekrönt. Nun,
Johnny glaubte nicht so recht an diese Geschichte, dennoch erwies er
Sir Pfefferberg die Ehre und sprach ihn stets mit Sir Peter an. Er
gönnte ihm diese kleinen und doch für ihn so wichtigen
Momente. Nun zu diesem allwöchentlichem Pokerspiel. Es wurde
nur mit Chips gespielt, niemals mit echtem Geld. Jeder Mitspieler
bekam 400 Dollarchips, wobei jeder Dollar nur 5 Cent wert war. So kam
es, dass nach mehrstündigem Spielen und mehrmaligem Gewinnen
der eine oder andere durchaus einige Euros gewinnen konnte. Das
Erhöhte laut Mimmi den Nervenkitzel während des Spielens
aufs Beachtlichste. Selbstredend erlitt keiner der Mitspieler
dadurch ernste finanzielle Schwierigkeiten. Mimmi bekam eine sehr
gute Rente und Sir Peter bezog zu jedem 3. eines Monats seine
Pension, die auch eine gewisse Altersversorgung war. Außerdem
diente dieses allwöchentliche Zusammentreffen der Erholung, wo
man sich während des Spieles nicht nur auf das Poker
konzentrierte, nein man tauschte auch gewisse Informationen aus. Wie
zum Beispiel das Wetter in den nächsten Tagen wird oder was man
so von den Nachbarn zu seiner Linken oder der zu seiner Rechten
erfuhr. Man schimpfte über die Politik und über die
heimlich sich unters Volk mischende Inflation und, und, und.
Gewissermaßen über dieses und jenes. Es artete meist
in ein nicht mindergroßes Palaver aus. So fühlten sich
Mimmi und Sir Peter, nach mehrstündigem Spielen, zutiefst
Entspannt. Wie auch wieder heute.
Das Spiel war heute nach zweieinhalb Stunden etwas eher
vorbei. Und Mimmi zeigte sich nicht gerade begeistert. Sir Peter
gewann das heutige Spiel und durfte sich, mit einem Reingewinn von
vier Euro und zwanzig Cent auf den Weg nach Hause begeben. Sir Peter
war in fast jedem Fall und Situation wahrlich Gentleman. Doch, wenn
es ums Pokern ging, verschlief er seine gute Erziehung und wurde
hinsichtlich dieses Spieles zum uneingeschränkten Erzfeind von
seiner Angebeteten Mimmi. Ja er vergaß förmlich, in diesem
Spiel seine Etikette. Doch durchaus niemals seine hochdekorierte und
perfekte feinfühlige Wortgewandtheit. Kurz gesagt, ließ er
Mimmi niemals Gewinnen, wenn er ein gutes Blatt auf der Hand hatte.
Das gleiche galt auch für Mimmi. Johnny hingegen war dies
eigentlich egal, er konnte dieses Pokerspiel nicht einmal leiden. Er
genoss die Unterhaltungen zwischen seiner Mimmi und Sir Peter. Ja und
teils lernte er auch davon. Er wollte seiner Großmutter und Sir
Peter dieser Stunden am Wochenende bzw. dieser kleinen Dreisamkeit
wahrlich nicht berauben. Also spielte er mit Duldsamkeit ein Spiel
nach dem anderen mit. Wie schon gesagt, dauerte dieses Pokerspiel
heute zirka zweieinhalb Stunden. Mimmi konzentrierte sich heute ein
wenig mehr auf ihren Enkel. Ihr fiel auf, dass er heute eigentlich
nicht so recht bei der Sache war. So dass sie nach reiflicher
Beobachtung feststellen musste, das Johnny irgendetwas bedrücken
musste. Selbstverständlich behielt sie diese Auffälligkeit
erst mal für sich, zumindest solange, bis Sir Peter außer
Reichweite war. Doch weit gefehlt, Sir Peter war nicht nur ein
glänzender Redner, sondern auch ein Einfühlsamer und
betagter Beobachter.
»Madame, so darf ich mich in gütlichster
Form, mit einem überragenden Sieg, von diesem Spiel, mit Verlaub
bis aufs nächste Wochenende zurückziehen und mit großer
Freude meinen Gewinn an mich nehmen. Trotz Ihrer Niederlage, Fräulein
Mimmi, darf ich Ihnen aufs äußerste mein Entzücken
mitteilen, dass ich ihre Gesellschaft im höchsten Maße
genossen habe.«, gab, er mit Stil wieder. Während er ihre
rechte Hand mit einem zärtlichen Küsschen verwöhnte.
»Ach, Sir Peter von Pfefferberg, sie sind wie
immer ein Schmeichler. Doch ich muss zugeben, dass ich mich nicht
unwohl dabei fühle.«, sagte sie mit einem für Sir
Peter viel versprechenden Lächeln zu ihm.
Sir Peter getraute seinen Augen und Ohren nicht, so
verzückt war er von diesen süßen Worten. Einige
Momente hielt er inne und sah Mimmi, seiner Angebeteten, tief in die
Augen, so dass Mimmi das erste mal vor ihm errötete. Was Sir
Peter bemerkte, doch wie ein ganzer Gentleman für sich behielt
und keine dummen Sprüche darüber verlor. Er war ein
Genießer und dem zufolge sog er sich die Gesten seitens
seiner Angebeteten förmlich und unbemerkt in sich hinein.
»Ach übrigens mein lieber Johnny, ich
bemerkte deine gedankliche Abwesendheit während des Spieles.
Ist dir vielleicht etwas geschehen?«, fragte Sir Peter so ganz
geläufig, während er seinen langen Mantel, passend zur
Ausgehhose versteht sich, überzog. Während er auf Johnnys
Antwort zu warten schien, lehnte, ja verlagerte, umklammerte er sein
teilweise stehendes Körpergewicht galant mit seinem rechten Arm
und Hand, um seinen schön verzierten Stock mit Perlmuttgriff. Um
sich natürlich auch stielecht zu Präsentieren.
»Ich danke Ihnen, Sir Peter, für ihre Sorge um
mich. Doch seien sie versichert, es ist alles in Ordnung.«,
schwindelte Johnny etwas. Nicht dass er Sir Peter nicht vertrauen
konnte, nein im Gegenteil. Johnny beabsichtigte, niemanden mit seinen
Problemen zu belasten und schon gar nicht seine Großmutter und
Sir Peter. Sie hatten sich redlich einen schönen und ruhigen
Lebensabend verdient gemacht.
»Nun denn, meine Lieben, werde ich mich in meinem
eigenen Reich etwas nützlich machen, in dem ich meine
Münzsammlung aufs Neue auf Hochglanz poliere. So wünsche
ich noch einen Geselligen Abend.«, verabschiedete sich Sir
Peter, ging noch einmal zu Mimmi und küsste ihre rechte Hand und
ging, so wie er es formulieren würde, mit vollendeter
Gewandtheit.
Kaum hatte Sir Peter von Pfefferberg das häusliche
Ambiente von Mimmi verlassen, sah sie ihren Enkel mit einem
erwartungsvollen und durchdringenden, ja fast stechenden Blick, an.
Wobei Johnny etwas nervös zu werden schien.
»Was ist, Mimmi, warum guckst du so?«, fragte
er sich unschuldig fühlend.
»Ach, mein Johnny. Glaubst du im Ernst, dass du vor
mir etwas Verbergen kannst. Was ist denn mit dir los, na sag schon.
Deiner alten Großmutter kannst du beruhigt sagen, was dir
fehlt?«, drängte Mimmi in Johnny ein. Johnny wusste, dass
seine Großmutter nicht eher Ruhe geben würde, bis er ihr
alles erzählt hatte. Er wunderte sich zudem, dass es selbst Sir
Peter auffiel, dass er Kummer hatte.
»Eigentlich wollte ich dich nicht damit belasten.
Doch, wenn du es unbedingt wissen willst. Ich habe mich dummerweise
verliebt.«, gestand Johnny seiner Mimmi.
»Jetzt hör mir mal gut zu. Seit wann, mein
lieber Junge, gehört verliebt sein zur Kategorie der
Dummheit?«, wies sie darauf hin und nahm seine beiden Hände
und umschloss sie mit den ihren.
»Dieses eine mal, Mimmi, irrst du dich gewaltig.
Ich habe mich in eine Frau verliebt, die ich nicht länger als
etwas über zwei Stunden kannte. Das ist doch nicht normal,
oder?«, begründete er sein Fehlverhalten.
»Na, dich scheint es ja mächtig erwischt zu
haben, was? Na ja, jetzt verzweifle nicht gleich und erzähl
deiner Großmutter alles. Erzähl mir ganz genau wie es sich
zugetragen hat. Ich werde dir dann mit Rat und eventuell mit Tat,
behilflich sein.«, versicherte sie ihrem Enkel.
Na schön, ich glaube zwar nicht, dass du mir in
diesem Fall helfen kannst, aber schaden kann es ja nicht.«,
warf er ein.
Und Johnny erzählte das gesamte Erlebnis von A bis Z.
»Oh Gott, das ist hart.«, sagte Mimmi in
einem langatmigen Seufzer.
»Na, was habe ich dir gesagt, selbst du findest
dies absurd. Ich bin für alle Zeit erledigt.«, jammerte
Johnny in sich hinein.
»Kapituliere nicht gleich wieder. Ich seufzte nur,
weil es wirklich ungewöhnlich ist und es wahrlich nur wenige
Menschen gibt, die so starke Gefühle in so kurzer Zeit
entwickeln können. Jedoch muss ich dir offen und ehrlich sagen,
dass dies ein sehr harter Kampf für dich werden könnte, um
dieses offenbar liebreizende Geschöpf zu erobern?«,
gestand Mimmi ihm.
»Mimmi, das ist mir schon klar. Aber selbst wenn
ich ihre Adresse herausfinden würde, habe ich keine Zusicherung,
dass sie das gleiche für mich empfindet. Verdammt noch mal, es
ist zum Haare ausraufen.
»Erstens wirst du vor dem Schlafengehen 5 Ave
Maria beten. Für das Wort verdammt. Und zum Zweiten, du hast
sie nicht einmal nach ihrem Wohnort oder zumindest nach einer
Telefonnummer gefragt?«, konfrontierte Mimmi ihn mit einem
Vorwurf.
»Ich war so durcheinander von ihrer Schönheit,
von ihrer Lieblichkeit, ich hatte es schlicht und einfach vergessen.
Glaube mir Mimmi, ich habe mich selbst geohrfeigt und immer und immer
wieder selbst gerügt.
»Meine Güte, diese Jugend von heute. Na ja,
wir müssen jetzt versuchen, einen klaren Kopf zu behalten.«,
wies sie daraufhin.
Dann herrschte eine zeitlang absolute Stille in dem
gemütlichen Wohnzimmer von Mimmi.
»Aha, da fällt mir doch noch etwas ein. Hat
sie dir vielleicht ihren Namen genannt?«, fragte sie nun
aufgeregt als ginge es um sie.
»Ja, das hat sie, wieso?«, wollte er wissen.
»Na, das erkläre ich dir schon noch, also wie
nannte sie sich denn nun?«, drängte sie weiterhin.
»Sheila, ja sie hieß Sheila.«, blickte
er mit runzelnder Stirn.
»So, Sheila, ein ungewöhnlicher, jedoch sehr
schöner Name, konstatiere ich. Und weiter?«, gab sie nicht
nach.
»Wie weiter, ich verstehe nicht worauf du hinaus
willst?« fragte er baff.
»Na, jetzt stell dich doch nicht so an, sie wird
dir doch ihren Nachnamen genannt haben?«, erklärte sie
Johnny.
»Oh man, gestern wusste ich ihn noch? Das darf
doch alles nicht wahr sein. Ich habe ihn doch tatsächlich
vergessen.«, Johnny könnte sich am liebsten selbst
ohrfeigen. Ja, vor lauter Dummheit in den Erdboden versinken.
»Beruhige dich doch. Denke in aller Ruhe nach.
Lass dir Zeit dabei.«, erklärte sie betont.
Und Johnny kniete sich förmlich gedanklich hinein.
Er dachte angestrengt nach und nach, bis ihm beinahe der Kopf
qualmte. Dann, wie aus heiterem Blitz, flog ihm regelrecht der
ersehnte Nachname zu.
»Roiger, ja Sheila Roiger.«, offenbarte er
Mimmi.
»Roiger, bist du dir da auch ganz sicher?«,
vergewisserte sich Mimmi nochmals.
»Ja, Sheila Roiger. Ich bin mir sogar absolut
sicher.«, gab er freudig zu verstehen.
»Gut, ausgezeichnet, mein Junge. Jetzt haben wir
etwas, was uns dabei hilft, sie zu finden. Ich hoffe nur inständig,
das es nicht so viele mit diesem Namen gibt?«, stellte sie
fest.
»Wieso, was hast du denn vor, Mimmi?«, fragte
Johnny nach.
»Gedulde dich noch etwas. Vorerst muss ich einen
guten alten Freund anrufen.«, dann ging Mimmi eilig zum
Telefon, das sich im Gang des Hauses befand. Hob den Hörer,
wählte die besagte Nummer, die sie anscheinend auswendig kannte
und wartete. Während Johnny sprachlos im Türrahmen des
Wohnzimmers stand und lauschte.
»Ah ja, Sir Peter von Pfefferberg, hier spricht
Traudel Meinert. Ich hätte da eine große Bitte an sie.
Nein, sagen sie jetzt nichts dazu, sondern hören sie nur zu! Sie
haben doch einen dieser neumodischen, wie hießen die doch
gleich, ah ja. Eines dieser Compluter. Was? So, Computer heißen
diese Dinger. Na ja, macht ja nichts. Ich möchte, dass Sie mir
sämtliche Adressen eines bestimmten Vor- und Zunamens, wobei aber
nur der Nachnahme von Bedeutung ist, herauspicken und zukommen
lassen, auf welcher Art und Weise auch immer, mein Bester. Es wäre
lieb von ihnen, wenn sie diese Aufgabe mit sofortiger Wirkung
erledigen würden. Und zwar handelt es sich um folgenden Namen.
Sheila Roiger. Ich buchstabiere, S wie Siegfried, H wie Heinrich, E
wie Emil, I wie Ida, L wie Ludwig, usw. So und auf diese Art gab sie
den gesamten Namen Sheila Roiger durch. Dann verabschiedete sich
Mimmi von Sir Peter und ging wieder ins Wohnzimmer, nahm auf ihrem
Lieblingssessel Platz und wartete. Während Johnny sprachlos sich
auf die daneben stehende Couch niederließ.
»Mimmi, du bist ein ausgekochtes Schlitzohr und das
nicht einmal im übelsten Sinne. Ich bin begeistert von dir.«,
lobte er sie.
»Gewiss mein Junge, ich habe von frühster
Jugend an, von meinem Vater, Gott sei seiner Seele gnädig,
gelernt, das man zu jedem aufkommenden Problem und sei es noch so
groß oder gar unantastbar, also unbehebbar, stets die Kehrseite
betrachten sollte. Jedes Problem will gelöst sein. Wie du
sicherlich in diesem Fall gesehen hast, gibt es für alles einen
Ausweg. Anfangs schien es unlösbar zu sein. Und nach reichlicher
Betrachtung, fand ich einen Ausweg. Das Geheimnis daran ist, sich
klar und bedacht dagegen zu stellen. Dieses Problem positiv zu
betrachten und anzugehen. Das Ergebnis mag vielleicht nicht immer zum
gewünschten Erfolg führen. Doch bedenke, es lässt sich
zumindest soweit in seiner Tragweite bändigen, dass es dir oder
deinem Nächsten keinerlei allzu großen Schaden mehr
zufügen kann.«, erklärte Mimmi, in Ihrem Element, ihrem Enkel.
»Man, Mimmi du überraschst mich doch immer
wieder aufs Neueste. Ich bin echt stolz auf dich.«, lobte er
mal wieder seine Großmutter.
»Na, na, bitte noch keine Lorbeeren verteilen.
Noch steht das Ergebnis aus.«, sagte sie feststellend, dennoch
ruhig und tröstend.
»Gewiss, liebe Mimmi. Und so warteten beide auf
das Klingeln des Telefons. Nach einigen Minuten war es dann soweit.
Der heißersehnte Anruf kam.
Mimmi ging, so rasch sie nur konnte, ans Telefon und
Johnny guckte mit weit aufgerissenen Augen, wie agil doch seine Mimmi
noch sein konnte, wenn es denn sein musste.
»Ja, Traudel Meinert am Apparat?«, gab sie,
nun doch leicht außer Puste, zu verstehen. Es folgte ein
undeutliches Geschnatter.
Johnny stand wieder einmal im Türrahmen des
Wohnzimmers und sah, wie Mimmi eine Adresse nach der anderen auf ihren
Schreibblock aufschrieb, der immer griffbereit neben dem Telefon lag.
Nach einigen Minuten sollte es dann soweit sein.
»Sir Peter, ich bin ihnen wie schon so oft zu
großem Dank verpflichtet. Ein gutes Essen aus meiner Küche,
ist ihnen demnächst sicher. Danke nochmals und gute Nacht.«,
dann legte sie wieder den Hörer in die Gabel.
»Ach mein Junge, dieser Mann ist so eine gute
Seele von Mensch. Er hat mir schon in so mancher einsamen Zeit
beigestanden. Ohne Frage, ein unersetzbarer Mensch. Für mich
zumindest. Wahrlich ein getreuer Freund.«, schwelgte sich Mimmi
in Erinnerungen.
»Warum heiratest du ihn nicht?«, fragte
Johnny so ganz frech.
»Heiraten? Ich noch mal und das in meinem Alter?
Also Johnny, manches Mal mache ich mir schon so meine Gedanken über
dich? Muss ich dir mal sagen.«, rügte sie ihren Enkel.
»Entschuldige bitte, ist mir so herausgerutscht.«,
sagte er mit einem kühlen und vorsichtigen Lächeln.
»Schon gut mein Junge. Aber nun lass uns
gemeinsam diese Adressen durchgehen. Und die, die wir für
richtig halten, rufen wir als erstes an. Okay?«, sagte sie zu
ihm.
»Gute Idee. Dann nahm Johnny den Notizblock an
sich und begann vorzulesen. Insgesamt standen dort 6 Adressen unter
dem Namen Roiger.
»So Mimmi. Eines ist vorerst klar: Jeder dieser 6
Adressen, könnte die richtige sein. Da sie mir ja erzählte,
dass sie nur vorläufig bei ihren Eltern lebt. Hier haben wir eine
Sophie Roiger. Die Nummer lautet 615576-30.«, las er ihr vor.
Während Mimmi bereits das Telefon parat hatte und die Nummer
alsgleich wählte.
»Jetzt mach dir mal keine Gedanken, wenn sie bei
einer dieser Adressen wohnt, werde ich es schon herausbekommen. Ich
versuche es vorerst mit Raffinesse.«, so wartete Mimmi, nachdem
sie die Nummer gewählt hatte, auf eine Reaktion am Ende der
Leitung.
»Roiger?«, kam am anderen Ende zu hören.
»Guten Tag, spreche ich mit Sophia Roiger?«,
fragte Mimmi, nicht mal verlegen.
»Ja, ich bin Sophia Roiger. Sie wünschen
bitte?«, erklärte sie sich.
»Verzeihen sie mir, liebe Sophia, ich hätte
gerne ihre Tochter Sheila gesprochen?«, gute Idee von Mimmi.
»Wie bitte, meine Tochter Sheila? Ich habe
überhaupt keine Tochter mit diesem Namen, ich habe überhaupt
keine Tochter.« Gab die Dame am anderen Ende zu verstehen.
»Oh Verzeihen sie mir, dann muss es sich wohl um
einen Irrtum Handeln.«, gab Mimmi ganz dezent zu verstehen.
»Aber das macht doch nichts. Guten Tag.« Und
die Dame legte auf.
»Tja, mein lieber. Dieser Schuss, wie man so schön
sagt, ging nach hinten los. Dann gib mir mal die nächste Nummer
an.«, forderte Mimmi von ihren Enkel.
So ging es zügig weiter und zwar solange, bis nur
noch eine Nummer übrig war.
»Mimmi, es ist nur noch eine Nummer übrig.
Wenn die auch nicht zum gewünschten Erfolg führt, dann weiß
ich auch nicht mehr weiter. Man, hoffentlich haben die keine
Geheimnummer.«, schmollte Johnny.
»Meine Güte, Jungchen, mal doch nicht immer
gleich den Teufel an die Wand. Wenn es mit diesen Adressen nicht
klappen sollte, dann wird mir schon noch etwas anderes einfallen. So
gib mir nun die letzte Nummer durch.«, forderte Mimmi forsch.
Als Mimmi die besagte und letzte Nummer gewählt hatte, warteten
beide voller Hoffnung. Nur mit dem einen Unterschied, das Mimmi ihre
Aufregung unter brillanter Kontrolle hatte, im Gegensatz zu Johnny,
der aufgeregt an seinen Fingernägeln zu kauen begann.
»Claudia Bogner, Oberaufsicht und Haushälterin
von Familie Roiger am Apparat, was kann ich für sie tun?«
Gab sie zu verstehen.
»Ja, guten Tag, ich bin eine ehemalige Lehrerin von
Fräulein Sheila Roiger, könnte ich sie vielleicht mal kurz
sprechen?«, eine gekonnte Notlüge, die Mimmi dieser
Haushälterin aufschwatzte, so dass Johnny seine Großmutter
verblüfft ansah. Hatte er sie doch das erste Mal in seinem Leben
schwindeln gehört.
»Gerne, wenn sie etwas Geduld haben, dann werde
ich sie holen gehen?«, bot sie Mimmi an.
»Gewiss doch, lassen sie sich nur Zeit. Ich werde
so lange am Apparat bleiben. Und vielen Dank auch.«, erwiderte
Mimmi der Haushälterin.
»Johnny, Bingo. Ihre Haushälterin geht sie
holen. Los, jetzt bist du an der Reihe.«, forderte sie nun.
»Ich, aber nicht doch. Was soll ich ihr denn
sagen, nachdem du so geschwindelt hast.«, Johnny drückte
sich plötzlich.
»Das, mein lieber, ist jetzt deine Sache. Los, jetzt
kannst du mal zeigen was du für ein Mann bist, wie lieb du sie
wirklich hast! Es ist vielleicht deine letzte Chance?«, gab
Mimmi ihrem nervösen Enkel unweigerlich zu verstehen.
Und Johnny wartete am Telefon, völlig aufgelöst
und zum Zerreißen nervös. Er zitterte förmlich am
ganzen Leibe. Wie würde sie auf diesen Anruf reagieren. Würde
sie überhaupt etwas sagen? Würde sie ihm Glauben schenken,
wenn er ihr seine Liebe gestand? Die pure Angst durchfloss Johnnys
Herz. Noch nie in seinem Leben hatte er vor etwas wirkliche Angst.
Doch nun hatte er Angst vor dieser Situation, Angst davor, dass sie
seine Gefühle, ja, seine Liebe nicht erwidern würde. Johnny
hoffte voller Leidenschaft. Ihm war klar, da musste er durch. Denn er
liebte sie abgöttisch. Er atmete tief ein und versuchte auf
diese Art Ruhe zu bewahren. Er durfte jetzt keinen Fehler machen.
Nichts, aber auch rein gar nichts unüberlegtes zu ihr sagen.
Mimmi inspizierte ihren Enkels Verhalten aufs Genaueste. Sie sah
seine Nervosität. Sie begriff in diesem Moment, dass ihr Johnny
dieses Mädchen wahrhaft liebte. Noch nie hatte sie ihn so
aufgeregt erlebt, wie in diesem Augenblick.
»Meine Güte, diese Stufen geben mir noch mal
den Rest.«, gab Claudia pustend im Selbstgespräch, während
sie gerade die letzte Stufe der insgesamt zweiunddreißig
erreicht hatte, von sich. Vor Sheilas Zimmer angelangt, klopfte sie
im mehrmaligen Takt an dessen Türe.
»Ja, herein bitte.«, bat Sheila, während
sie sich ihrem Tagebuch widmete.
»Liebes, hast du mal kurz Zeit. Ein Anruf für
dich?«, erklärte sie völlig außer Puste.
Natürlich hätte Sheila auch einen Telefonanschluss in ihren
zwei Zimmern haben können. Doch Sheila wollte dies nicht. Sie
wollte in ihren Räumlichkeiten absolute Ruhe haben. Auch von
Handys hielt sie nicht viel. Lieber rannte sie die gesamten
zweiunddreißig Stufen in den großen Saal hinunter, wenn
sie mal dringend telefonieren musste, als dass sie sich solch eine
Elektronik anschaffen würde. Ihre Meinung darüber: Man wird
nur davon faul wie bequem.
»Wer ist es denn?«, fragte Sheila fast
uninteressiert wirkend.
»Sie sagt sie sei eine ehemalige Lehrerin von
dir.«, wies Claudia hin.
»Was? Eine ehemalige Lehrerin, komisch. Warte
Claudia, ich komme gleich mit.«, sagte Sheila.
Und während sie so die zweiunddreißig Stufen
herab stiegen, »Sheila, deine Abneigung gegen Telefone und Handys
in allen Ehren, so wünschte ich schon, dass du wenigsten eines
in deinem Zimmer installieren ließest. Weißt du, mein Schatz,
ich bin wahrlich nicht mehr die frischeste.« gestand und
beschwerte sich Claudia so ganz nebenläufig.
»Gut, dir zuliebe, dass du es leichter hast. Du
kannst dies ja eigenmächtig mit der Telefongesellschaft
arrangieren. Bist du nun zufrieden?«, gab Sheila nach.
»Du bist ein Schatz. Ich habe dich lieb.«,
freute sich Claudia.
»Gerne geschehen meine Liebe.«, erwiderte
Sheila. Dann kam sie ans Telefon.
»Ja, hier Sheila Roiger am Apparat?«, gab
sich Sheila zu erkennen. Doch zunächst bekam sie keine Antwort.
»Was ist denn mit dir Johnny? Du musst doch etwas
sagen?« forderte Mimmi im Flüsterton von Johnny. Sie
bemerkte Johnnys Nervosität und begriff in Windeseile, dass ihr
Enkel in diesem Augenblick kein einziges Wort mehr herausbekommen
würde, also stand sie so schnell sie nur konnte von Ihrem
Sessel auf und eilte zu Johnny, der nur da stand und keinen Mucks von
sich gab. Mit einem gekonnten Griff riss sie ihm regelrecht den
Hörer aus der Hand.
»Äh, entschuldigen Sie, Fräulein Sheila.
Ich weiß, dass ich mich für eine Ihrer früheren Lehrerinnen
ausgab. Doch in Wirklichkeit bin ich es gar nicht.«, gestand
nun Mimmi. Sie fühlte sich nicht gerade sehr wohl, in welche
Situation ihr Enkel sie gerade gebracht hatte.
»Ja, aber warum das alles und wofür? Und vor
allem was wollen sie eigentlich von mir?« Eine berechtigte
Frage, die da Sheila Mimmi stellte. Auch Claudia wurde nun hellhörig,
nahm ein Taschentuch aus Ihrer linken Schürzentasche heraus und
tat so, als wische sie den ohnehin makellos eingewachsten, also auf
Hochglanz polierten Tisch.
»Ja, wissen Sie, ich weiß jetzt gar nicht so recht,
wie ich es ihnen am besten erklären könnte? Eigentlich
wollte jemand aus meiner Familie mit ihnen reden, den sie erst vor
kurzem kennen gelernt haben.«, versuchte Mimmi zu erklären.
»So, und wer sollte dieser jemand sein, und vor
allem wann und wo sollte ich jene oder jenen kennen gelernt haben?«,
horchte Sheila Mimmi aus. Insgeheim hatte Sheila schon einen Verdacht
und sie betete regelrecht im Gedanken, dass es jener welcher ist, den
sie vermutete. Doch wollte sie sich erst absolut sicher sein, bevor
sie reagieren konnte.
»Fräulein Sheila, es handelt sich hierbei um
meinen Enkel. Diesen jungen Mann haben sie im Zug hier nach
Stuttgart kennen gelernt. Verzeihen sie ihm, dass er sie nicht selbst
anrief, aber er ist so etwas von nervös, dass er einfach keinen
Ton heraus bekam.
»Warten sie einen Moment, Sie sind Mimmi, nicht
wahr? Hab ich recht?«, fiel es Sheila wie Schuppen vom Kopfe.
»Ja, aber woher wissen sie denn das? Ach, Sie
wissen, dass es um Johnny meinem Enkel geht? Sie haben ihn folglich
auch nicht vergessen?«, stellte Mimmi fest und freute sich
ungemein.
»Ich muss zugeben, dass ich sogar sehr viel an ihn
gedacht hatte? Aber sagen Sie mir bitte, wie haben sie denn überhaupt
meine jetzige Adresse herausbekommen? Wir beide hatten doch glatt
vergessen, unsere Adressen auszutauschen. Verrückt nicht wahr?«,
gestand Sheila, nun völlig durcheinander und nervös.
»Ist überhaupt nicht schlimm. Im Rausch der
Liebe, kann alles passieren. Man ist sozusagen nicht mehr Herr seiner
Sinne. Doch genau dies macht es ja so schön. Übrigens, wir
sollten uns duzen, wenn Sie denn mögen, ja?«, bot Mimmi
an.
»Klar mag ich, Mimmi. Kann ich jetzt bitte Johnny
sprechen?«, bat sie Mimmi. Nun pochte und klopfte Sheilas
Herz wie noch nie in ihrem Leben zuvor. Außer als sich ihrer
beider Lippen zum ersten Mal berührten. Denn sie würde
jeden Augenblick mit Johnny reden dürfen.
Währenddessen und noch bevor sich Mimmi und Sheila
Verabschiedeten, tauschten beide ihre Telefonnummern aus. Natürlich
auch die von Johnnys Zuhause. Dann reichte Mimmi ihrem hochgradig
nervösen Enkel den Hörer.
Johnny blieb nun nichts anderes übrig, wenn er
Sheila nicht verärgern wollte, als seine Nervosität in Zaum
zu halten und mit ihr zu reden.
»Johnny, bist du am Hörer, sag doch bitte
was.«, auch Sheila tat sich enorm schwer, ihre Nervosität
unter Kontrolle zu halten. Sie begann zu weinen. Und als Johnny dies
bemerkte, kamen auch ihm die Tränen. Was auch Sheila bemerkte.
Auch Mimmi entging dies nicht und legte ihren Arm um Johnnys
Schultern. Was ihm sehr half.
»Sheila? Verzeih, dass ich so feige war und meine
Mimmi vorschob. Ich hatte Angst, dass du vielleicht nicht so fühlst,
wie ich für dich empfinde. Ich weiß selbst nicht, was mit mir los
ist. Wir kannten uns doch nicht einmal sehr lange. Ich weiß, ich
dürfte dir das noch nicht sagen, aber ich liebe dich, Sheila.«,
dann schwieg Johnny.
Er hatte noch nie in seinen Leben ein solch intensives
Gefühl verspürt, wie in diesem Moment. Wie würde sie
auf sein Geständnis der Liebe reagieren. Wie würde sie
sich äußern. Vielleicht, dass sie ihn nur, in
Anführungsstrichen, gern hätte. Johnny bebte innerlich. Am
liebsten würde er jetzt losschreien, ihre Liebe mit allem
Verlangen, fordern. Es folgte ein Moment quälender Stille.
»Johnny? Ich fühle wie du. Und genau dieses
Gefühl für dich ist so stark, dass es mir Angst macht. Auch
ich weiß nicht, was mit mir geschehen ist. Doch bitte ich dich, mir
etwas Zeit zu geben. Verstehe mich nicht falsch. Es ist ein großer
Schritt, wenn ich mich für dich und damit für eine
gemeinsame Zukunft, entscheiden soll. Ich habe wie du weißt, erst
eine schreckliche Partnerschaft hinter mir. Gib mir bitte etwas Zeit.
Ich werde jetzt auflegen. Und egal wie lange es dauert, bitte melde
dich nicht bei mir. Wenn ich bereit dazu, bereit für dich bin,
dann rufe ich dich an. Wenn du mich wirklich so sehr liebst wie du
sagst, wirst du auf mich warten. Ich bin mir dessen bewusst, dass
diese ungewisse Zeit für dich eine Qual werden wird. Doch im
Augenblick kann ich nicht anders handeln.«, dann legte Sheila
auf.
Verdammt, was habe ich denn jetzt für einen Mist
daher geredet. Ich habe ihm Hoffnungen gemacht. Claudia, findest du,
dass es falsch war?«, fragte sie Claudia, die noch immer
uninteressiert wirkend, den schon längst blitzblanken riesigen,
zirka Fünfzig Personen Tafeltisch polierte.
»Nicht, wenn du ihn wirklich liebst. Es ist gut
so, denn Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Doch wenn du
dir nicht sicher bist, dann ist deine Vorgehensweise nicht korrekt.
Denn dann würdest du ihn auf eine gewisse Art, sagen wir mal,
für dich warm halten. Zudem, hast du gerade eben einen Menschen,
der dich vermutlich mit allen Sinnen, also von ganzem Herzen liebt,
sehr wehgetan. Denn dieser Mann wird jetzt von Stunde zu Stunde, von
Tag zu Tag, von Woche zu Woche und das in einer für ihn
quälenden Ungewissheit verbringen müssen, weil du ihm
Hoffnungen gemacht hast. Oder du bist fair genug, ihm ein für
alle mal klar zu machen, dass du ihn nicht lieb genug hast. Das
letztere, wenn es denn so ist, bist du diesem Mann schuldig. Kein
Mann, der so liebt, dich so liebt, verdient so ein mieses
Hinhalten.«, erklärte Claudia in Weisheit.
»Claudia, ich liebe diesen Mann. Ich liebe ihn
wirklich. Ich habe nur Angst, dass er vielleicht so werden könnte,
wie Karl es getan hatte.«, erklärte Sheila mit Tränen
in den Augen.
»Mein kleiner Schatz, jede Liebe ist wie ein
Abenteuer. Jede Liebe will erst einmal gelernt sein. Jede Liebe will
geprüft werden und jede Liebe muss reifen, muss in sich und in
seinem Erlebten miteinander wachsen, ineinander verschmelzen, zu
einem Ganzen werden. Zu einem Ganzen, so dass ihr diese, eure ganz
bestimmte und eigene Liebe, in harmonischen Jahren auslebt. Und
sei es nur ein Augenblick oder ein ganzes Leben lang. Jeder Moment
der wahren Liebe verdient es, erlebt, durchlebt zu werden. Du kannst
nicht aus Angst aus deinem Erlebten jenen Mann für Karl
verantwortlich machen. Karl war Karl und Johnny ist Johnny. Gönne
dir diese Momente oder gar ein ganzes Leben mit ihm. Und sollte sich
Johnny als Mistkerl entpuppen, so bleibt es dir überlassen, ob
du ihm den Laufpass geben wirst oder nicht. Also, du liebst ihn, er
liebt dich. Was hast du schon zu verlieren. Sollte es nicht klappen,
na dann bist du eben um eine Erfahrung reicher. Davon meine Liebe,
geht die Welt bestimmt nicht unter. Ich weiß, dass du meine Worte für
sehr hart und vielleicht ein kleines bisschen für unangebracht
hältst, das tun alle die verliebt sind, wenn man sie vor
vollendete Tatsachen stellt. Denn Liebe macht ja bekanntlich blind.
Doch will ich dir noch eines sagen. Entscheidest du dich gegen
Johnnys Liebe, wird mit Sicherheit die Zeit deine Wunden im Herzen
heilen. Doch wird der Tag kommen, an dem du dich fragen wirst, ob du
auch richtig gehandelt hast. Du wirst dir ein Leben lang Vorwürfe
machen, ob du nicht doch mit Johnny glücklich geworden wärst.
Sicherlich wirst du dich eines Tages wieder aufs Neue verlieben, aber
daran denken wirst du immer.«, erklärte Claudia.
Ihre Worte drangen so tief in Sheilas Herzen ein, dass
Sheila bedenklich, ja, nur noch dümmlich wirkend und regungslos
stumm, mit weit aufgerissenen Augen, dastand.
»Wow, Claudia, was du so alles über die Liebe
weißt? Beachtlich, in der Tat beachtlich.«, wies Sheila darauf
hin.
»Aber nicht doch, ich weiß auch nicht mehr als
andere. Es ist nur so, dass für unsere Generation damals die
Liebe einen ganz anderen Stellenwert hatte.«, warf Claudia ein.
»Wieso sagst du so etwas? Ist denn die Liebe in
meiner und jetzigen Generation vielleicht nicht die gleiche Liebe,
wie ihr sie damals empfandet?« Eigentlich eine kluge
Feststellung, die da Sheila äußerte. Wenn da nicht Claudia
anderer Meinung wäre.
»Gewiss und dessen bin ich mir sicher, fühlt
ihr genauso intensiv wie wir damals. Nur geht ihr heutzutage, sagen
wir mal, nicht so verantwortungsvoll damit um als es wir in unserer
Zeit taten.«, verglich Claudia.
»Was? Wie kommst du denn darauf, Claudia?«,
wollte sie jetzt wissen.
»Ach du meine Güte Sheila, ich bitte dich. Du
fragst mich das allen Ernstes? Du brauchst dir doch nur mal die
heutige und aktuelle Scheidungsrate anzuschauen. Statistisch gesehen
lässt sich jede dritte Ehe im ersten Jahr scheiden und jede zweite
geschlossene Ehe innerhalb von fünf bis sieben Jahren. Das, mein
Spätzchen, gab es in meiner Zeit bei weitem nicht. Du kannst das
getrost im Staatsarchiv nachblättern. Anstatt sich den ehelichen
Problemen zu stellen und gemeinsam zu versuchen einen Weg zu finden,
um die Ehe zu retten, ist es für die heutige Generation doch
viel angenehmer, sich diesen Übels zu entledigen. Und was mich
am meisten daran ärgert, ja was mich zur Weißglut bringt, ist
doch die Tatsache, dass keiner bei einer Scheidung an die
Kinder denkt, wenn denn welche da sind.
Kein einziger. Da wird gnadenlos beim Anwalt und vor dem
Gericht mit allen nur erdenklichen Tricks gegeneinander gearbeitet.
Auf Teufel komm heraus dreckige Wäsche gewaschen und das ohne
auf die Kinder, die ja in den meisten Fällen darunter leiden,
weil sie eben beide Elterteile lieb haben, Rücksicht zu nehmen.
Ich könnte manches mal vor Wut in die Luft gehen, wenn ich dann
höre, wie dieselben, die bei Gericht sitzen und sich gegenseitig
kein einziges gutes Haar mehr am Kopfe lassen, von Kinderliebe
sprechen. Meiner Meinung nach, benutzen sie ihre Kinder für ihre
eigenen Zwecke. Keine Spur von Rücksicht auf das unsagbare Leid
dieser noch so kleinen Menschlein bei diesen so scheußlichen
Verhandlungen. Sheila, ich will dir keine Predigt halten und es hat
vielleicht auch nicht hundertprozentig mit deinem Problem zu tun.
Doch wollte ich dir sagen: Solltest du mit Johnny zusammenkommen,
also dass ihr euch findet und ihr ein Kind bekommt, dann solltet
ihr beide um eure Liebe kämpfen, für euch und euer Kind.
Ungeachtet dessen, was auf euch in der Zukunft noch hereinbrechen
würde!«, erklärte Claudia sich ärgernd.
»Weißt du was Claudia, ich bin echt froh, dass ich
von Karl kein Kind bekommen habe. Doch eines werde ich dir
versprechen, sollte es wirklich Gott gefallen, dass ich und Johnny,
dass wir uns eines Tages trennen werden und ein Kind in unserer Mitte
sich befände, so werde ich Johnny nicht seines Kindes und dem
Kind nicht des Vaters berauben. Das schwöre ich, so war mir
Gott helfe.«, schwor Sheila.
Als Claudia das hörte, schwieg sie zwar, dennoch
konnte man in ihrem Gesichtausdruck deutlich die Freude über
Sheilas festen Entschluss erkennen.
»Du hast dich also doch für diesen Johnny
entschieden?«, fragte Claudia nun, unter einem leicht
sichtbaren - schon vorher gewusst - Blick.
»Das, meine gute Claudia, werde ich dir heute Abend
nicht mehr verraten.«, neckte Sheila, natürlich nicht böse
gemeint, Claudia.
»Oh, du kleines Ungeheuer. Beabsichtigst du
wirklich, deiner armen alten Claudia eine schlaflose Nacht zu bescheren?
Das ist doch nicht dein Ernst oder?«, drängte Claudia
neugierig.
»Ach was, natürlich nicht. Ich werde ihn
morgen früh bei seiner Großmutter anrufen und ein Treffen
vereinbaren. Bist du nun zufrieden?«, sagte Sheila.
»Gewiss, bis ins Innerste meines Gemütes,
mein Kind.« Erwiderte Claudia.
Sheila und Claudia unterhielten sich noch bis tief in
die Nacht hinein und als es schon längst weit über die
Schlafenszeit war, verabschiedete sich Sheila von Ihrer Claudia und
ging zu Bett. Hundemüde, wörtlich gesprochen, lies sich
Sheila aufs übergroße Französische Bett fallen.
Sheila wälzte sich in ihrem Bett hin und her. Obwohl sie sehr
müde war, konnte sie nicht einschlafen, ja brachte sie kein Auge
zu. Ihre Gedanken kreisten um Johnny. Würde es auch richtig
sein, ihn morgen früh anzurufen um ein Treffen mit ihm zu
anrangieren?
Ja, ich liebe ihn. Er geht mir einfach nicht mehr aus
dem Kopf. Muss immerzu an ihn denken. Ich sehne mich nach ihm. Dieser
Blick, diese stechenden dunkelbraunen, ja fast schwarzen Pupillen.
Ich kann seinen Blick nicht vergessen. Es kam mir so vor, als hatte
er Angst, ja richtige Angst, Abschied zu nehmen. Komisch, wenn ich
jetzt so darüber nachdenke, erging es mir in diesem Abteil des
Zuges eigentlich auch nicht viel anders. Irgendwie hatte ich bei ihm
das ganz bestimmte Gefühl, geborgen zu sein. Dass mir bei ihm
nichts, aber auch rein gar nichts geschehen könnte, dass ich bei
ihm absolut sicher bin. Als kannten wir uns schon eine sehr lange
Zeit. Unglaublich, das darf ich außer meiner Claudia niemandem
erzählen, die würden mich doch glatt für närrisch
befinden?«
Wie es wohl sein wird, wenn wir das erste mal
miteinander? Ach daran sollte ich nun überhaupt nicht denken.
Wie beliebte meine Claudia stets zusagen? Was geschehen soll, wird
letztendlich Geschehen. Dachte sich Sheila.
Noch einige Minuten vergingen, und Sheila Schlief
schließlich doch noch wohl behütet ein.
Währenddessen kamen Sheilas Eltern von
Bürgermeisters und Stadtrats Treffen nach Hause. Es war schon
2 Uhr 35, morgens also, schon weit über Mitternacht. Claudia
hingegen machte es sich wie schon so oft in einem der so vielen sich
befindlichen und überaus bequemen Sesseln im Salon gemütlich,
was natürlich von einem Nickerchen gekrönt wurde. Claudia
war nicht der Typ, der, wenn es Schlafenszeit wurde, brav ins
Bettchen ging. Im Gegenteil, sie konnte einfach den Gedanken nicht
ertragen, auch wenn Herr und Frau Roiger noch so spät nach
Hause kamen, nicht anwesend zu sein, falls die hohen Herrschaften
noch etwas benötigten. Sei es noch ein Glas Likör oder
vielleicht, was ja ab und an vorkam, einen kleinen Imbiss. Den Rest
des Hauspersonals, das hier nächtigte hingegen, schickte sie
zeitig zum Schlafengehen. Dieses oft vorkommende Prozedere behielt sich
Claudia natürlich vor. Obwohl dies meistens von Seiten der
Hohen Herrschaften gelegentlich eine nicht so ernst gemeinte Rüge
mit sich zog. Claudia hatte trotz des Nickerchens ein unglaubliches
und hochempfindliches Gehör. Sie schlief quasi nur mit einer
Hälfte ihres Gehirnes. So wie es eigentlich nur Tiere tun. Die
stets wachsam sein mussten, um nicht selbst erbeutet zu werden.
Claudia erwies sich so gut in ihrer Wachsamkeit, dass sie schon
die äußerste und mächtig große Haustüre
sich öffnen hörte. Auf diese Weise blieb ihr noch genügend
Zeit, zur inneren Türe zu gelangen, die erst einmal zum Vorgang führte,
durch den die Hohen Herrschaften mussten, um den Salon zu erreichen,
wo natürlich in stolzer Ausdrucksweise und mit erhobenen
Hauptes, Claudia zu deren Empfang bereit stand. Es war den Roigers
wahrlich ein Rätsel, wie Claudia, egal um welche Uhrzeit auch
immer, es sei denn sie kündigten sich an, wissen konnte, wann
sie im Hause erscheinen würden. Mit den Jahren gaben sie es auf,
danach zu fragen.
Wie gesagt, auch getan, stand Claudia schon zum Empfang,
als die Roigers die Türe zum Salon öffneten.
»Guten Morgen die Herrschaften.« grüßte
Claudia mit einem winzig kleinen lästerrischen Unterton,
während sie die abgelegten Mäntel der Herrschaften
entgegen nahm und über ihren rechten Arm legte, um sie nach
Erhalt eines weiteren Wunsches in die eigens sich dafür
befindliche Kleiderkammer ordentlich aufzubewahren.
»Ja Claudia, ist mal wieder recht spät
geworden.«, erklärte Herr Roiger.
»Darf ich ihnen noch einen Wunsch erfüllen?«,
fragte Claudia.
»Nein danke meine Liebe, wir werden sofort zu Bett
gehen.«
Als die hohen Herrschaften die elegante Wendeltreppe,
leicht schleppend wirkend, hochstiegen, dachte sich noch Claudia,
Reichtum ist auch nicht alles. Diese ganzen Verpflichtungen und
Empfänge und immer und immer wieder seinen Namen und Titel zu
präsentieren, kann doch nicht das wahre Leben sein. Man müsste
mehr Ausgeglichenheit als Titel, Macht und Geld für sein Leben
fordern. Claudia dachte, dass die Tochter des Hauses nicht dazugehöre.
Nur zu oft verstand Claudia Sheilas verhalten. Es war nicht nur der
Pomp und Prunk oder gar der schnöde Mammon, den Sheila oft
weinen ließ, nein es war lediglich die Einsamkeit, dass dieses
Kind für den Erfolg ihrer Eltern bezahlen musste. Sie liebte
ihre Eltern, die anscheinend unfähig waren, diese Liebe gänzlich
zu erfüllen. Doch was konnte denn Claudia schon dagegen machen,
außer Sheila zu trösten, wenn es nötig war.
Ja, dieses Kind hat eigentlich alles und doch am Ende
gar nichts. Dachte sich noch Claudia, während ihr schwer ums
Herz wurde.
Trotz alledem konnte dieses Trösten und die Gabe
ihrer eigenen Liebe nicht die liebe ihrer Eltern ersetzen. Dessen
war sich Claudia stets bewusst und machte sich diesbezüglich
auch nichts vor.
Ach es ist schon ein Jammer, wenn doch nur Sheila meine
Tochter wäre? Dachte sich noch Claudia. Dann löschte sie
noch sämtliche Lichter des großen Saales und die des
Eingangsbereiches, schaltete die Alarmanlage ein, die gleich im
Eingangsbereich der Küche an der Wand hing, und ging nach unten
in ihre Bediensteten-Wohnung, um sich auch endlich von ihrem
arbeitsreichen Tag etwas zur Ruhe zu betten.
Kapitel 5
© 2008 by Peter Althammer
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