|
Du, mein Licht in dunkler Nacht
Ein Liebesroman von Peter Althammer
|
Die Entführung
Währenddessen, Sheila befand sich gerade unten in
der großen Halle beim Frühstücken. Ein zufriedenes
Lächeln zeichnete sich in ihrem Gesicht ab. Sie hatte ihren
Anruf, was Johann betraf, längst erledigt und sie genoss gerade
ihren Kaffee, als Claudia an sie herantrat.
»Liebes, möchtest du noch Brötchen?«,
kam die Frage.
»Nein, danke Claudia, aber einen Kaffee könnte
ich noch vertragen.«, entgegnete Sheila.
Noch während Sheila gierig die Neige ihres Kaffees
aus ihrem Lieblingshumpen förmlich Ausschlürfte und sich
ein vielversprechendes Lächeln über ihr ganzes Gesicht
zog, entging Claudia dieses Verhalten von Sheila natürlich
nicht.
»Dein Telefongespräch vorhin muss ja mächtig
erfolgreich gewesen sein.«, bemerkte Claudia so ganz nebenbei.
»Du gibst ja eh keine Ruhe, bevor ich es dir nicht
erzählt habe, stimmt es?«, fragte Sheila.
»Tja, du kennst mich doch. In diesem Hause ist es
für mich notwendig, alles zu wissen. Das dürfte für
dich, mein Liebling, nichts neues sein, oder?«, kam Claudia mit
einer Gegenfrage.
»Ich habe dir doch letztens von Johann erzählt
und von dem Projekt, das ich hier in Stuttgart vorhabe.«,
erzählte sie weiter.
»Ach du meinst die neue Anwaltskanzlei, die du
eröffnen möchtest?«, sagte sie.
»Genau, und rate mal, wie dieses Gespräch mit
Johann ausgegangen ist.«, sagte Sheila aufgeregt.
»Na und wie ist es denn ausgegangen?«,
fragte Claudia wie gewünscht.
»Also, Johann hat ein Projekt für mich und
das, wie er mir versprach, zu einem Spottpreis. Dieses Projekt, so wie
er mir versicherte, beinhalte sogar einen eigenen Wohnbereich, also
eine komplett vollmöblierte Wohnung über der Kanzlei. Er
hat es ganz günstig aus einer Zwangsversteigerung heraus
ergattert. Das er mir nun zum Kauf anbot. Was ich wiederum begeistert
annahm.«, erzählte sie des weiteren.
»Na, hoffentlich ist es wirklich nur ein
Spottpreis. Du weißt doch, wie pfiffig diese Geschäftleute
sind.«, sagte Claudia mit Bedenken.
»Aber du kennst doch Onkel Johann auch schon seit
Jahren, der würde mich doch niemals übers Ohr hauen.«,
sagte sie etwas erregt.
»Na klar kenn ich Onkel Johann. Erstens ist er
nicht dein Onkel. Zweitens sind für mich alle Geschäftsmänner
Banditen und drittens, wenn dich dein so genannter Onkel Johann
nicht übers Ohr haut, dann nur aus einem Grund.«, sagte
sie.
»Und der wäre?«, fragte Sheila
neugierig.
»Natürlich nur, um deinem Vater zu gefallen,
ja um bei deinem Daddy Eindruck zu schinden. Mädel, ich kenne
diese Art Onkel Johann. Der tut nichts umsonst. Glaube mir, hinter
deinem Geschäft wittert er ein noch größeres für
sich.«, sagte Claudia.
»Tja, willkommen in der wunderbaren Welt der
Geschäftsstrategie. Letztendlich kann mir das doch egal sein.
Mein Vater und er hatten schon immer, egal, um was es hierbei ging,
Geschäfte gemacht. Und du darfst dabei auch nicht vergessen,
dass mein Vater kein dummer Geschäftsmann ist. Wenn also Onkel
Johann durch mich mit meinem Vater ein Geschäft macht, darauf
kannst du dich verlassen, macht mein Vater ein noch größeres.
Somit bin ich zufrieden, Onkel Johann ist zufrieden und mein Vater
ist es auch. Ende gut, alles gut.«, sagte sie vor Entzückung.
»Na, du musst es ja wissen. Ich hoffe inständig,
dass du Recht behältst, Liebes. Du hast schon genug mitmachen
müssen, da fehlte gerade noch ein geschäftlicher
Rückschlag.«, murrte Claudia zügig weiter.
»Du machst dir viel zu große Sorgen um
mich.«, stellte Sheila fest.
»Wenn nicht ich, wer denn sonst?«,
entgegnete sie fast beleidigt.
»Ach Claudia, sei wieder lieb.«, bat Sheila.
»Sag mal Sheila, wann soll denn dieses, so
spottbillige Geschäft von Statten gehen?«, wollte Claudia
wissen.
»Johann sagte, anfangs nächster Woche, also
am kommenden Montag, denke ich. Er sagte, dass er mich kurz vorher
anriefe.« Entgegnete Sheila.
Sheila fiel auf, dass Claudia sich irgendwie um sie herum
zu drucksen schien. Und sie wusste, dass sie normalerweise um diese
Stunde eigentlich keine Zeit hatte. Denn viele Aufgaben warteten auf
sie, um die Dienstmädchen in den Tagesplan einzuführen.
Doch heute scheint dies nicht der Fall zu sein.
»Sag mal, Claudia, möchtest du mir vielleicht
noch etwas sagen?«, fragte sie so ganz beiläufig.
»Ich dachte schon, du fragst nie. Hab mich ja
schließlich auch um das Haus zu kümmern.«, murrte
sie mal wieder.
»Meine Liebe, dann mal heraus mit der Sprache.«,
forderte Sheila aufmerksam.
»Du solltest diesen Johnny anrufen. Er macht sich
sicher schon große Sorgen um dich.«, sagte Claudia ganz
verlegen aber dennoch gut gemeint.
»Ja, meine Liebe, sicherlich hast du Recht wie
meistens. Dennoch, ich weiß nicht, ob es der richtige Zeitpunkt dafür
ist.«, entgegnete Sheila nachdenklich.
»Ja, sag mal, vermisst du Johnny denn überhaupt
nicht?«, fragte Claudia ganz offen.
Was für eine Frage, die du da stellst. Natürlich
vermisse ich ihn. Ich vermisse ihn sogar schrecklich. Halt, das ist
zu wenig. Ich vermisse ihn wahnsinnig. Das ist eigentlich noch immer
zu wenig. Ich glaube, liebe Claudia, es müsste eine ganz neue
Sprache erfunden werden, um das ausdrücken zu können, was
ich für diesen Mann empfinde. Als das erste Mal seine Lippen die
meinen berührten und nur unser beider Lippen, da war ich benommen
vor Glück. Ich konnte bis zu diesem Augenblick noch nicht einmal
erahnen, dass sich derartige Gefühle in mir verbargen. All diese
Jahre in denen ich glaubte, alle Gefühle meines Körpers
schon längst erforscht, sie schon längst gefühlt,
geliebt, durchlebt, erlebt zu haben und dann das? Hervorgeholt aus
dem tiefsten Innern meines Herzens, durch einen einzigen Kuss.
Claudia, ich bebte innerlich. Ich wünschte mir, er würde
diesen Kuss, diesen Kuss der mich derart verzauberte, der mich, ja,
meinen gesamten Körper bannte, sofort beenden, beenden noch
bevor ich mich gänzlich fallen ließe. Zur gleichen Zeit
wiederum mir sehnlichst wünschte, dass dieser Kuss niemals enden
würde. So sehr war ich durcheinander. Ich wagte es nicht, zu
atmen, obwohl mich fast der Erstickungstod zu ereilen drohte. Ich
wagte es nicht, ihn anzusehen, meine Augen zu öffnen. Meine
Augenlieder verweigerten ihren Dienst. Mein Verstand verweigerte
seinen Dienst und der Rest meines Körpers des gleichen. Es
existierte in diesen Augenblick nur unsere eigene Zeit und Dimension.
Claudia, kannst du nun verstehen, dass ich erst alles in Ordnung, alles
ins Rechte rücken möchte, um Johnny sagen zu können,
ich bin Dein. Ich möchte nicht noch einmal sagen müssen,
gedulde dich Johnny, warte auf mich Johnny, verliere nicht den Mut
Johnny. Nein und nochmals nein! Ich will ihn und mir derartig nicht
mehr wehtun.«, sagte Sheila und holte wieder tief Luft. Sie sah
etwas hoch zu Claudia, die tief gerührt, mit einem Taschentuch im
Gesicht, schluchzte.
»Och Gottchen, meine Liebe, es tut mir leid. Ich
wusste doch nicht, dass es dich so berührt, verzeih. Ich dumme
Pute dachte nicht einmal an dich und wie empfindsam du doch im Grunde
deines Herzens bist.«, entschuldigte sich Sheila, stand rasch
auf und umarmte ihre Claudia ganz feste, die noch immer völlig
berührt weiter schluchzte.
»So etwas Schönes, mein liebes Kind, habe ich
von dir noch nie gehört. Ich kann dich gut verstehen. Du darfst
deiner alten Claudia nicht böse sein. Ich will dich doch nur
glücklich sehen.«, weinte Claudia vor Rührung
unentwegt weiter.
»Ich weiß es doch, Claudia.«, sagte Sheila
mit Tränen in den Augen. Nachdem sich die Gemüter wieder
etwas beruhigt hatten, nahm Claudia das Zepter wieder in gewohnter
Hand. Eilends schritt Claudia zur Tat, indem sie wie an jedem Morgen
sämtliche Dienstmädchen, zwölf an der Zahl,
ausgenommen ihrerseits, die zwei Spitzenköche und nicht zu
vergessen den Gärtner, in militärischer Form antreten ließ.
Antreten deshalb, um, wie schon erwähnt, den heutigen Dienstplan
an die Mädchen zu verteilen. Dieses große Haus forderte
jeden Tag ein Maximum an Koordination, um absolute Sauberkeit
wiederzuspiegeln, zumal die werte Hausherrin an allerlei
Staub- und Milben-Allergien zu leiden hatte. Diese Frau hatte es nicht
einmal nötig, das Haus nach diesen für sie
gesundheitsgefährdenden Stoffen zu durchsuchen, nein, es genügte,
einfach durch sämtliche Räume zu gehen, um Alarm zu
schlagen. Dieser Alarm machte sich in Form eines Niesens, Husten oder
gar als Juckreizanfall bemerkbar. Von diesem Zustand wusste natürlich
die gesamte Belegschaft und war deshalb aufs Äußerste
bemüht, soweit es ihnen möglich war, zu beseitigen.
Sheila hingegen rang mit sich selbst, in dem sie, sie
hatte es sich gerade in einem der bequemeren Sesselgruppen, die sich,
wie bekannt, auch im großen Saal befanden, gemütlich
gemacht und starrte auf eines der dort befindlichen Telefone. Sollte
sie Johnny vielleicht doch anrufen oder nicht. Schließlich,
nach längerem hin und her, entschloss sie sich, es nicht zu tun.
Stattdessen beschloss sie kurzerhand, in die ortsansässige
Stadtbücherei zu fahren. Das letzte Mal war sie vor sechs Jahren
dort, als sie mal wieder einen riesigen Streit mit Karl hatte und für
ein paar Wochen zu ihrem Elternhaus floh. Dort verbanden sie viele
angenehme Erinnerungen, die sie nicht missen wollte. Als
Jugendliche verbrachte sie viele Stunden dort und wühlte sich
durch sämtliche Geschichten der Vergangenheiten von Feldherrn
und Abenteurern wie Julius Caesar bis hin zu Christoph Columbus. Und
immer war sie stets in ihren Fantasien dabei. Oftmals musste sie von
den Bibliothekaren aus den Räumlichkeiten verwiesen werden, weil
in diesen Stunden, in denen sie las, für sie die Zeit keine
Bedeutung hatte. Natürlich hätte sie diese riesigen Wälzer,
die sie las, auch mit nach Hause nehmen können, doch diese ganz
bestimmte Atmosphäre, der Geruch dieser aber und aber von
tausenden Büchern versetzte sie in den Drang, diese
phantastischen Geschichten, die sie geistig zu verschlingen
vermochte, an Ort und Stelle zu lesen. Gesagt, getan. Sheila stand mit
einem Schwung auf und rannte flink wie eine Katze in Richtung der
zweiunddreißig Stufen hoch und ab in ihr Zimmer, kämmte
sich kurz ihr Haar durch, schnappte sich ihre Handtasche, die an der
Rückenlehne ihres Schreibtischstuhles hing und machte sich
unversehens auf den Weg zur Bibliothek. In der Empfangshalle
angekommen, traf sie noch auf Claudia, die gerade eines der
Dienstmädchen in der Mangel hatte.
»Gütiger Gott, Claudia, siehst du denn nicht,
dass dieses Mädchen schon weint?«, erwähnte Sheila so
nebenher beim Vorbeigehen.
»Das tun sie alle, um mein Herz zu erweichen. Nur
davon wird das Haus auch nicht sauber. Übrigens, Sheila, wo
willst du denn so plötzlich hin?«, fragte Claudia
neugierig.
»Ich habe beschlossen, in die Bibliothek zu gehen,
weißt du, da war ich schon so viele Jahre nicht mehr.«,
antwortete sie mit neuem Schwung.
»Gutes Kind. Das wurde aber auch mal Zeit, dass du
wieder das Leben anfängst.«, meckerte Claudia auf ihre
altbewährte Weise.
»Bla, bla, bla, meine liebe, wenn du nichts zu
meckern hast, bist du nicht Glücklich.«, gab Sheila ganz
frech zurück. Worauf das Dienstmädchen Stella ein breites
Grinsen zu ihrem Besten gab.
»Junge Dame, du bist mir noch nicht zu alt, um dir
den Hintern zu versohlen.«, sagte Claudia zu Sheila, während
Sheila ihr ein Handküsschen zuspielte, worauf Claudia ihr
natürlich nicht mehr böse sein konnte.
»Tschüss allesamt, bin in zwei bis drei
Stunden wieder zurück.«, verabschiedete sie sich und
verließ schlendernd das Haus.
»Und dir, Stella, wird das freche Grinsen noch
vergehen. Ab an die Arbeit, aber ein bisschen zügig, wenn ich
bitten darf.«, rügte sie das Dienstmädchen.
Nachdem sich Sheila, wie sonst auch, ärgernd durch
die Sicherheitseinrichtungen des Anwesens lotste, stand sie endlich auf
dem Gehweg zur Freiheit. Sheila fuhr gerne und oft mit dem Taxi.
Allerdings boten sich auch andere Möglichkeiten, wie zum
Beispiel das eigens für sie abgestellte Privatauto, das stets
gewartet und fahrbereit auf dem Privatparkplatz vor dem Hause Roiger
stand, zu benutzen. Die dafür notwendigen Schlüssel trug
sie immer in ihrer Handtasche bei sich. Sheila fuhr eigentlich nicht
gerne Auto. Allerdings, einen bestimmten Grund dafür gab es
nicht. Gerade als sie nach diesem Schlüssel, den sie in einem
speziellen Seitenfach der Handtasche hinterlegte, griff, hörte
sie hinter sich ein sehr lautes Quietschen von Autoreifen. Gerade
wollte sie sich umdrehen, um der Sache auf den Grund zu gehen, da
wurde sie plötzlich mit einem schmerzenden Ruck gewaltsam nach
hinten gezogen. Gleichzeitig presste eine Hand ihren Mund zu, so dass es
ihr nicht mehr möglich war, um Hilfe zu schreien. Panische Angst
überfiel sie, als sie mit Schrecken eine ihr bekannte Stimme
vernahm.
»Na, du Miststück. Hast du wirklich geglaubt,
dass du dich so einfach aus meinem Leben stehlen könntest? Ich
werde dir schon zeigen, wo es langgeht.«, sagte diese Stimme mit
wirrem Hinterton.
Nur wenige Augenblicke später wurde sie mit einer
schier unbegreiflichen und rohen Gewalt in einen Kofferraum gezerrt.
Im noch geöffneten Kofferraum des fremden Wagens, und das am
hellichten Tage, wurde sie mit Klebebändern an Mund, Händen
und Füßen gefesselt. Während dies geschah, konnte Sheila
eindeutig Karl erkennen, der wie besessen mit starrem und irrem Blick
seine Tat zu beenden suchte. Plötzlich völlige Dunkelheit.
Es roch nach Benzin. Das Geräusch des Motors, der sein quälendes
Lied sang, machte Sheila klar, dass sie von Minute zu Minute immer
weiter von ihrem Elternhaus weggebracht wurde. Panische Angst
durchdrang Sheilas Körper. Das Atmen fiel ihr zunehmend
schwerer. Da lag sie nun in einem dunklen nach Benzin und Ölen
stinkenden Kofferraum und wusste nicht, wie ihr geschah. Sie dachte
nach und versuchte erst einmal, ihre Gedanken neu zu ordnen.
Was hat er nur mit mir vor, dachte sie. Sie machte sich
große Selbstvorwürfe. Er wird mir doch nichts antun
wollen? Abrupt stoppte sie diesen Gedanken, denn es machte ihr
Angst. Ihr war nun klar, dass dieser Mann, mit dem sie so viele Jahre
zusammen gelebt hatte, nicht mehr derselbe war. Sie hatte Schmerzen
in den Handgelenken. Zu fest hatte er ihr das Klebeband um die
Handgelenke gewickelt. Je mehr sie versuchte, sich von dieser Fessel
zu befreien, desto mehr zogen sie sich zusammen. Sie musste versuchen,
nicht mehr zu weinen, denn auf ihrem Mund klebte ja auch das
Klebeband. Folglich bekam sie nur Luft durch die Nase. Die Nase
drohte durch das Weinen zu verstopfen und sie könnte dadurch
ersticken. Noch immer lauschte sie dem Brummen des Motors, der mal
etwas lauter beim Anfahren des Wagens und mal leiser beim wieder
anhalten, wurde. Dadurch wusste sie auch, dass sie die Stadt noch
nicht verlassen hatten. Befänden sie sich auf einer Autobahn,
würde der Wagen viel länger die gleiche Geschwindigkeit
beibehalten. All diese Erkenntnisse konnte sie allein vom Geräusch
des Motors abhören. Sheila fürchtete sich schrecklich. Doch
sie versuchte weiterhin, klaren Kopf zu behalten und vor allem, nicht
zu weinen. Tausende Gedanken spiegelten sich in ihrem Kopf wieder.
Vieles, als wäre es erst vor kurzem Geschehen. Sie ließ
ihr gesamtes bisheriges Leben Revue passieren. Sie dachte an ihre
Kindheit, an ihre Eltern und an die vergangenen Jahre mit ihrem
Peiniger Karl, der sie nun auch noch gewaltsam entführt hatte.
Womit hat sie das alles nur verdient. Sie dachte an Johnny und an den
ersten Kuss im Zugabteil. Aus einem unerklärbaren Grund gab ihr
genau dieser Gedanke Mut und lenkte sie ab. Sie dachte sich, dass es
kein Zufall gewesen sei, dass sie Johnny kennen gelernt hatte. Und
aus einem ganz bestimmten Gefühl heraus glaubte sie fest daran,
dass Johnny, wenn sie als vermisst galt, suchen würde. Sie
versuchte, sich von jedwedem negativen Gedanken nicht beirren zu
lassen. Sie versuchte, sich mental, also seelisch und geistig zu
kräftigen. Sheila fürchtete auch diesen Moment, wenn Karl
sein angesteuertes Ziel erreicht hatte. Wohin, dachte sie des
weiteren, könnte er mit einer Person, die gegen ihren Willen
festgehalten wird, denn eigentlich fahren? Könnte es denn sein,
dass er mit mir nach Frankreich zurück wollte? Nein, das glaube
ich nicht. Er müsste mit mir über die Grenze und dort wird
das Auto bestimmt nach etwaigen Drogen oder Dingen, die vielleicht
nicht versteuert worden waren, durchsucht. Das zu riskieren, dafür
ist Karl zu feige, dachte sie sich noch.
Sie kannte Karl nur zu gut. Obwohl er leicht zur Gewalt
neigt, also vom Charakter her ein sehr schwacher Mensch ist, ist er
dennoch kein Dummkopf. Nach außen hin ist er ein brillanter
Schauspieler. Er konnte stets mit seinem falsch gespielten Charme
Menschen in seiner unmittelbaren Nähe durchaus beeinflussen.
Auch Sheila ist zu Anfangs auf ihn und seine charmante Seite
hereingefallen. Dafür musste sie in den letzten Jahren bitteren
Tribut bezahlen. Plötzlich wurde es Sheila Himmel, Angst und
Hölle. Wenn er also nicht, zumindest nicht mit mir zurück
nach Frankreich konnte, was blieb übrig? Was hatte er dann mit
mir vor? Verwandte, soweit wie mir bekannt ist, hatte er ja keine.
Ja, es gibt für ihn nur eine Möglichkeit. Er wird mich
töten wollen. Ja, er wird mit mir in irgendeine verlassene
Gegend fahren und mich dort umbringen, dachte sie und versuchte
krampfhaft, das Weinen zu unterdrücken. Sheila kämpfte
innerlich mit dem Mut der Verzweiflung. Sie fühlte sich so
alleine und elend. Ihr tat die Seite auf der sie lag, schrecklich
weh. Als er sie mit Gewalt, wie irgendeinen Gegenstand in den
Kofferraum schmiss, prellte sie sich das Becken auf ihrer linken
Seite, was nun sehr zu schmerzen begann. Weiterhin ging die Fahrt, und
tatsächlich, wie Sheila schon vermutete, wurde nun das Fahren des
Autos, die Geschwindigkeit, gleichmäßiger. Das An- und
Abfahren wurde spür- und hörbar weniger. Was nur bedeuten
konnte, dass er sich entweder auf einer Landstraße oder auf
einer Autobahn befinden musste, was wiederum zum Schrecken von Sheila
bedeuten konnte, dass er sich höchstwahrscheinlich eine etwas
abgelegene Gegend suchte.
Oh mein Gott, hilf mir doch. Lass es bitte, bitte,
bitte nicht so enden. Mit einem Mal wurde Sheila innerlich etwas
ruhiger. Hochkonzentriert dachte sie nun nach. Gut, wenn ich schon
sterben muss, dann aber nicht wie ein Opferlamm, das auf seine
Schlachtbank geführt wird. Ich werde mich wehren mit allem was
mir zu Verfügung steht. Dennoch, warum, um des Himmelswillen, habe
ich denn nicht an seine Worte zurückgedacht, als ich von ihm
ging. Ich hätte mich besser darauf vorbereiten sollen. Ich
wusste, wie besitzergreifend er doch ist. Er hat mich doch schon
einmal davor gewarnt, sollte ich ihn jemals verlassen, dann würde
ich es einmal bitter bereuen.
Ich muss einen Weg finden, sobald er mich aus dem
Kofferraum holt, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Das ist meine
einzige Chance. Ja, und wenn ich meine ganze Weiblichkeit einsetzen
muss, egal wie es mich anwidern wird. Muss ihm glaubhaft machen, wie
sehr ich ihn noch liebe. Das ich ihn anrufen wollte. Dass ich ihn
wahnsinnig vermisst habe, dachte sich Sheila. Sie selbst bemerkte
nun, dass sie begann, sich selbst zu beruhigen und durcheinander
geratene Sätze zu denken, die von Todesangst geformt wurden. Sie
spürte den unabwendbaren Zeitpunkt mit jedem Kilometer, den
dieses Auto fuhr, herannahen. Den unentfliehbaren Augenblick, den
Moment des Todes. Was ist, wenn er mich nicht von den Fesseln
befreit, um mit mir zu Reden. Egal was er tut, ich muss ihn dazu
bringen, mich loszubinden.
Auf all das hoffte, ja betete sie, weil in diesen
Handlungen für sie die einzige Rettung bestand. Sie
brauchte nur zwei Dinge. Zwei freie Hände und ihren Mund zum
Reden. Sie wusste auch, dass er um einiges labil ist. Auch er war zu
beeinflussen. Vor allem von ihr. Koste es was es wolle. Es muss ihr
gelingen, dass er ihr die Fesseln löst. Sonst wäre sie, und
das wusste sie auch, verloren.
Kapitel 14
© 2008 by Peter Althammer
|
Sollten Sie als Verlag Interesse an einer Veröffentlichung in Buchform haben,
nehmen Sie bitte Verbindung auf:
Kurze Vita des Autors, Kontakt
Reiseberichte mit Fotos, Interessantes und Kurioses aus aller Welt:
www.panoptikum.net
|