Du, mein Licht in dunkler Nacht

Ein Liebesroman von Peter Althammer

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Die Sehnsucht

Johnny saß längst mit seiner Mimmi in einer gemütlichen Pokerrunde. Die Gartenarbeit war längst im Verlaufe des Tages erledigt, die Besorgungen für die wöchentliche Verpflegung seiner Großmutter eingekauft und in der Küche sorgfältig gelagert. Wie fast jedes Wochenende stellte das Pokern für seine Mimmi das höchste Ereignis dar. In diesem Falle waren sie hierbei immer zu Dritt. Es war ein Nachbar, übrigens auch ein Unikat seines Gleichen. Sir Peter von Pfefferberg. So wollte und wurde er auch von Mimmi und Johnny genannt. Sir Peter ist ein Mann von erheblich kräftiger Statur. Nicht im Sinne proportionierter Form, sondern von einem gut durchtrainierten Körper, so dass man seine zweiundsiebzig Jahre wahrlich nicht ansah. Sein einziger Makel, er trug für sein Alter ein viel zu kräftiges braunes Toupet als Haarersatz, was natürlich auffiel. Doch sich Lustigerweise daran zu ergötzen oder aufzubauen, kam für Mimmi und Johnny nicht in Frage. Hierbei galt das altbewährte Sprichwort, jedem das seine. Sir Peter war zwar ein bisschen sonderbar und das im wahrsten Sinne des Wortes, was Mimmi und Johnny natürlich nicht entging, dennoch eine Seele von Mensch. Er war stets bis ins kleinste Detail, dem Tag und dem Anlass entsprechend, ja bis aufs I-Tüpfelchen, im höchsten Maße formgewandt, gekleidet und bis zur Vollendung ein charmanter, galanter Charmeur. Und was natürlich nicht fehlen durfte, Gentlemen. Zudem machte er, zwar versteckt und das seit vielen Jahren und in brillanter Eigenart, Johnnys Großmutter den Hof. Er achtete stets auf seine Aussprache und auf absolutes sittenstrenges Benehmen, was Mimmi sehr an ihm zu schätzen wusste. Sir Peter war übrigens der einzige Mann, natürlich außer Johnny und dem Postboten, der etwa schwerere Päckchen gleich hinein trug, ins Haus durfte. Andere Fremde der Männerwelt, wurden höflichst mit einem Tadel in die große weite Welt, geschickt. Natürlich tat Mimmi so, als würde sie sich für Sir Peter nicht im geringsten Interessieren. Doch stillschweigend bzw. unbemerkt, schenkten die beiden sich ab und an Blicke, die alles aussagten, ja sogar manches Mal ein klein wenig enthüllten. Worüber Johnny natürlich unbemerkt schmunzelte. Er fand es einfach süß, wie die beiden und das noch in so hohem Alter, miteinander versteckt flirteten. Sir Peter von Pfefferberg war für Johnny nicht nur wie schon angedeutet ein Unikat seines Gleichen, aber zu Anfangs und teilweise heute noch ein Rätsel. Einmal fragte Johnny ihn, wie er denn zu diesem kuriosen Titel kam. Und Sir Peter erzählte seine kleine Geschichte dazu, die aber für Johnny ein kleinwenig von der Realität abwich. Was Johnny aber für sich behielt.
Sir Peter erzählte, dass er das Glück hatte, fast 20 Jahre in der feinen und hochadeligen englischen Gesellschaft, natürlich in hoher Position, arbeiten und leben zu dürfen. Des weiteren berichtete er, dass er damals als Botschaftsbeauftragter inkognito in wichtigen politischen Verhandlungen zwischen Deutschland und England vermittelte. Da er seine Aufgaben mit Erfolg meisterte, verlieh im seine Hoheit und Majestät, die Königin Mutter von England, höchstpersönlich diesen Titel. Fortan wurde sein Name mit (Sir) Peter von Pfefferberg gekrönt. Nun, Johnny glaubte nicht so recht an diese Geschichte, dennoch erwies er Sir Pfefferberg die Ehre und sprach ihn stets mit Sir Peter an. Er gönnte ihm diese kleinen und doch für ihn so wichtigen Momente. Nun zu diesem allwöchentlichem Pokerspiel. Es wurde nur mit Chips gespielt, niemals mit echtem Geld. Jeder Mitspieler bekam 400 Dollarchips, wobei jeder Dollar nur 5 Cent wert war. So kam es, dass nach mehrstündigem Spielen und mehrmaligem Gewinnen der eine oder andere durchaus einige Euros gewinnen konnte. Das Erhöhte laut Mimmi den Nervenkitzel während des Spielens aufs Beachtlichste. Selbstredend erlitt keiner der Mitspieler dadurch ernste finanzielle Schwierigkeiten. Mimmi bekam eine sehr gute Rente und Sir Peter bezog zu jedem 3. eines Monats seine Pension, die auch eine gewisse Altersversorgung war. Außerdem diente dieses allwöchentliche Zusammentreffen der Erholung, wo man sich während des Spieles nicht nur auf das Poker konzentrierte, nein man tauschte auch gewisse Informationen aus. Wie zum Beispiel das Wetter in den nächsten Tagen wird oder was man so von den Nachbarn zu seiner Linken oder der zu seiner Rechten erfuhr. Man schimpfte über die Politik und über die heimlich sich unters Volk mischende Inflation und, und, und. Gewissermaßen über dieses und jenes. Es artete meist in ein nicht mindergroßes Palaver aus. So fühlten sich Mimmi und Sir Peter, nach mehrstündigem Spielen, zutiefst Entspannt. Wie auch wieder heute.
Das Spiel war heute nach zweieinhalb Stunden etwas eher vorbei. Und Mimmi zeigte sich nicht gerade begeistert. Sir Peter gewann das heutige Spiel und durfte sich, mit einem Reingewinn von vier Euro und zwanzig Cent auf den Weg nach Hause begeben. Sir Peter war in fast jedem Fall und Situation wahrlich Gentleman. Doch, wenn es ums Pokern ging, verschlief er seine gute Erziehung und wurde hinsichtlich dieses Spieles zum uneingeschränkten Erzfeind von seiner Angebeteten Mimmi. Ja er vergaß förmlich, in diesem Spiel seine Etikette. Doch durchaus niemals seine hochdekorierte und perfekte feinfühlige Wortgewandtheit. Kurz gesagt, ließ er Mimmi niemals Gewinnen, wenn er ein gutes Blatt auf der Hand hatte. Das gleiche galt auch für Mimmi. Johnny hingegen war dies eigentlich egal, er konnte dieses Pokerspiel nicht einmal leiden. Er genoss die Unterhaltungen zwischen seiner Mimmi und Sir Peter. Ja und teils lernte er auch davon. Er wollte seiner Großmutter und Sir Peter dieser Stunden am Wochenende bzw. dieser kleinen Dreisamkeit wahrlich nicht berauben. Also spielte er mit Duldsamkeit ein Spiel nach dem anderen mit. Wie schon gesagt, dauerte dieses Pokerspiel heute zirka zweieinhalb Stunden. Mimmi konzentrierte sich heute ein wenig mehr auf ihren Enkel. Ihr fiel auf, dass er heute eigentlich nicht so recht bei der Sache war. So dass sie nach reiflicher Beobachtung feststellen musste, das Johnny irgendetwas bedrücken musste. Selbstverständlich behielt sie diese Auffälligkeit erst mal für sich, zumindest solange, bis Sir Peter außer Reichweite war. Doch weit gefehlt, Sir Peter war nicht nur ein glänzender Redner, sondern auch ein Einfühlsamer und betagter Beobachter.
»Madame, so darf ich mich in gütlichster Form, mit einem überragenden Sieg, von diesem Spiel, mit Verlaub bis aufs nächste Wochenende zurückziehen und mit großer Freude meinen Gewinn an mich nehmen. Trotz Ihrer Niederlage, Fräulein Mimmi, darf ich Ihnen aufs äußerste mein Entzücken mitteilen, dass ich ihre Gesellschaft im höchsten Maße genossen habe.«, gab, er mit Stil wieder. Während er ihre rechte Hand mit einem zärtlichen Küsschen verwöhnte.
»Ach, Sir Peter von Pfefferberg, sie sind wie immer ein Schmeichler. Doch ich muss zugeben, dass ich mich nicht unwohl dabei fühle.«, sagte sie mit einem für Sir Peter viel versprechenden Lächeln zu ihm.
Sir Peter getraute seinen Augen und Ohren nicht, so verzückt war er von diesen süßen Worten. Einige Momente hielt er inne und sah Mimmi, seiner Angebeteten, tief in die Augen, so dass Mimmi das erste mal vor ihm errötete. Was Sir Peter bemerkte, doch wie ein ganzer Gentleman für sich behielt und keine dummen Sprüche darüber verlor. Er war ein Genießer und dem zufolge sog er sich die Gesten seitens seiner Angebeteten förmlich und unbemerkt in sich hinein.
»Ach übrigens mein lieber Johnny, ich bemerkte deine gedankliche Abwesendheit während des Spieles. Ist dir vielleicht etwas geschehen?«, fragte Sir Peter so ganz geläufig, während er seinen langen Mantel, passend zur Ausgehhose versteht sich, überzog. Während er auf Johnnys Antwort zu warten schien, lehnte, ja verlagerte, umklammerte er sein teilweise stehendes Körpergewicht galant mit seinem rechten Arm und Hand, um seinen schön verzierten Stock mit Perlmuttgriff. Um sich natürlich auch stielecht zu Präsentieren.
»Ich danke Ihnen, Sir Peter, für ihre Sorge um mich. Doch seien sie versichert, es ist alles in Ordnung.«, schwindelte Johnny etwas. Nicht dass er Sir Peter nicht vertrauen konnte, nein im Gegenteil. Johnny beabsichtigte, niemanden mit seinen Problemen zu belasten und schon gar nicht seine Großmutter und Sir Peter. Sie hatten sich redlich einen schönen und ruhigen Lebensabend verdient gemacht.
»Nun denn, meine Lieben, werde ich mich in meinem eigenen Reich etwas nützlich machen, in dem ich meine Münzsammlung aufs Neue auf Hochglanz poliere. So wünsche ich noch einen Geselligen Abend.«, verabschiedete sich Sir Peter, ging noch einmal zu Mimmi und küsste ihre rechte Hand und ging, so wie er es formulieren würde, mit vollendeter Gewandtheit.
Kaum hatte Sir Peter von Pfefferberg das häusliche Ambiente von Mimmi verlassen, sah sie ihren Enkel mit einem erwartungsvollen und durchdringenden, ja fast stechenden Blick, an. Wobei Johnny etwas nervös zu werden schien.
»Was ist, Mimmi, warum guckst du so?«, fragte er sich unschuldig fühlend.
»Ach, mein Johnny. Glaubst du im Ernst, dass du vor mir etwas Verbergen kannst. Was ist denn mit dir los, na sag schon. Deiner alten Großmutter kannst du beruhigt sagen, was dir fehlt?«, drängte Mimmi in Johnny ein. Johnny wusste, dass seine Großmutter nicht eher Ruhe geben würde, bis er ihr alles erzählt hatte. Er wunderte sich zudem, dass es selbst Sir Peter auffiel, dass er Kummer hatte.
»Eigentlich wollte ich dich nicht damit belasten. Doch, wenn du es unbedingt wissen willst. Ich habe mich dummerweise verliebt.«, gestand Johnny seiner Mimmi.
»Jetzt hör mir mal gut zu. Seit wann, mein lieber Junge, gehört verliebt sein zur Kategorie der Dummheit?«, wies sie darauf hin und nahm seine beiden Hände und umschloss sie mit den ihren.
»Dieses eine mal, Mimmi, irrst du dich gewaltig. Ich habe mich in eine Frau verliebt, die ich nicht länger als etwas über zwei Stunden kannte. Das ist doch nicht normal, oder?«, begründete er sein Fehlverhalten.
»Na, dich scheint es ja mächtig erwischt zu haben, was? Na ja, jetzt verzweifle nicht gleich und erzähl deiner Großmutter alles. Erzähl mir ganz genau wie es sich zugetragen hat. Ich werde dir dann mit Rat und eventuell mit Tat, behilflich sein.«, versicherte sie ihrem Enkel.
Na schön, ich glaube zwar nicht, dass du mir in diesem Fall helfen kannst, aber schaden kann es ja nicht.«, warf er ein.
Und Johnny erzählte das gesamte Erlebnis von A bis Z.
»Oh Gott, das ist hart.«, sagte Mimmi in einem langatmigen Seufzer.
»Na, was habe ich dir gesagt, selbst du findest dies absurd. Ich bin für alle Zeit erledigt.«, jammerte Johnny in sich hinein.
»Kapituliere nicht gleich wieder. Ich seufzte nur, weil es wirklich ungewöhnlich ist und es wahrlich nur wenige Menschen gibt, die so starke Gefühle in so kurzer Zeit entwickeln können. Jedoch muss ich dir offen und ehrlich sagen, dass dies ein sehr harter Kampf für dich werden könnte, um dieses offenbar liebreizende Geschöpf zu erobern?«, gestand Mimmi ihm.
»Mimmi, das ist mir schon klar. Aber selbst wenn ich ihre Adresse herausfinden würde, habe ich keine Zusicherung, dass sie das gleiche für mich empfindet. Verdammt noch mal, es ist zum Haare ausraufen.
»Erstens wirst du vor dem Schlafengehen 5 Ave Maria beten. Für das Wort verdammt. Und zum Zweiten, du hast sie nicht einmal nach ihrem Wohnort oder zumindest nach einer Telefonnummer gefragt?«, konfrontierte Mimmi ihn mit einem Vorwurf.
»Ich war so durcheinander von ihrer Schönheit, von ihrer Lieblichkeit, ich hatte es schlicht und einfach vergessen. Glaube mir Mimmi, ich habe mich selbst geohrfeigt und immer und immer wieder selbst gerügt.
»Meine Güte, diese Jugend von heute. Na ja, wir müssen jetzt versuchen, einen klaren Kopf zu behalten.«, wies sie daraufhin.
Dann herrschte eine zeitlang absolute Stille in dem gemütlichen Wohnzimmer von Mimmi.
»Aha, da fällt mir doch noch etwas ein. Hat sie dir vielleicht ihren Namen genannt?«, fragte sie nun aufgeregt als ginge es um sie.
»Ja, das hat sie, wieso?«, wollte er wissen.
»Na, das erkläre ich dir schon noch, also wie nannte sie sich denn nun?«, drängte sie weiterhin.
»Sheila, ja sie hieß Sheila.«, blickte er mit runzelnder Stirn.
»So, Sheila, ein ungewöhnlicher, jedoch sehr schöner Name, konstatiere ich. Und weiter?«, gab sie nicht nach.
»Wie weiter, ich verstehe nicht worauf du hinaus willst?« fragte er baff.
»Na, jetzt stell dich doch nicht so an, sie wird dir doch ihren Nachnamen genannt haben?«, erklärte sie Johnny.
»Oh man, gestern wusste ich ihn noch? Das darf doch alles nicht wahr sein. Ich habe ihn doch tatsächlich vergessen.«, Johnny könnte sich am liebsten selbst ohrfeigen. Ja, vor lauter Dummheit in den Erdboden versinken.
»Beruhige dich doch. Denke in aller Ruhe nach. Lass dir Zeit dabei.«, erklärte sie betont.
Und Johnny kniete sich förmlich gedanklich hinein. Er dachte angestrengt nach und nach, bis ihm beinahe der Kopf qualmte. Dann, wie aus heiterem Blitz, flog ihm regelrecht der ersehnte Nachname zu.
»Roiger, ja Sheila Roiger.«, offenbarte er Mimmi.
»Roiger, bist du dir da auch ganz sicher?«, vergewisserte sich Mimmi nochmals.
»Ja, Sheila Roiger. Ich bin mir sogar absolut sicher.«, gab er freudig zu verstehen.
»Gut, ausgezeichnet, mein Junge. Jetzt haben wir etwas, was uns dabei hilft, sie zu finden. Ich hoffe nur inständig, das es nicht so viele mit diesem Namen gibt?«, stellte sie fest.
»Wieso, was hast du denn vor, Mimmi?«, fragte Johnny nach.
»Gedulde dich noch etwas. Vorerst muss ich einen guten alten Freund anrufen.«, dann ging Mimmi eilig zum Telefon, das sich im Gang des Hauses befand. Hob den Hörer, wählte die besagte Nummer, die sie anscheinend auswendig kannte und wartete. Während Johnny sprachlos im Türrahmen des Wohnzimmers stand und lauschte.
»Ah ja, Sir Peter von Pfefferberg, hier spricht Traudel Meinert. Ich hätte da eine große Bitte an sie. Nein, sagen sie jetzt nichts dazu, sondern hören sie nur zu! Sie haben doch einen dieser neumodischen, wie hießen die doch gleich, ah ja. Eines dieser Compluter. Was? So, Computer heißen diese Dinger. Na ja, macht ja nichts. Ich möchte, dass Sie mir sämtliche Adressen eines bestimmten Vor- und Zunamens, wobei aber nur der Nachnahme von Bedeutung ist, herauspicken und zukommen lassen, auf welcher Art und Weise auch immer, mein Bester. Es wäre lieb von ihnen, wenn sie diese Aufgabe mit sofortiger Wirkung erledigen würden. Und zwar handelt es sich um folgenden Namen. Sheila Roiger. Ich buchstabiere, S wie Siegfried, H wie Heinrich, E wie Emil, I wie Ida, L wie Ludwig, usw. So und auf diese Art gab sie den gesamten Namen Sheila Roiger durch. Dann verabschiedete sich Mimmi von Sir Peter und ging wieder ins Wohnzimmer, nahm auf ihrem Lieblingssessel Platz und wartete. Während Johnny sprachlos sich auf die daneben stehende Couch niederließ.
»Mimmi, du bist ein ausgekochtes Schlitzohr und das nicht einmal im übelsten Sinne. Ich bin begeistert von dir.«, lobte er sie.
»Gewiss mein Junge, ich habe von frühster Jugend an, von meinem Vater, Gott sei seiner Seele gnädig, gelernt, das man zu jedem aufkommenden Problem und sei es noch so groß oder gar unantastbar, also unbehebbar, stets die Kehrseite betrachten sollte. Jedes Problem will gelöst sein. Wie du sicherlich in diesem Fall gesehen hast, gibt es für alles einen Ausweg. Anfangs schien es unlösbar zu sein. Und nach reichlicher Betrachtung, fand ich einen Ausweg. Das Geheimnis daran ist, sich klar und bedacht dagegen zu stellen. Dieses Problem positiv zu betrachten und anzugehen. Das Ergebnis mag vielleicht nicht immer zum gewünschten Erfolg führen. Doch bedenke, es lässt sich zumindest soweit in seiner Tragweite bändigen, dass es dir oder deinem Nächsten keinerlei allzu großen Schaden mehr zufügen kann.«, erklärte Mimmi, in Ihrem Element, ihrem Enkel.
»Man, Mimmi du überraschst mich doch immer wieder aufs Neueste. Ich bin echt stolz auf dich.«, lobte er mal wieder seine Großmutter.
»Na, na, bitte noch keine Lorbeeren verteilen. Noch steht das Ergebnis aus.«, sagte sie feststellend, dennoch ruhig und tröstend.
»Gewiss, liebe Mimmi. Und so warteten beide auf das Klingeln des Telefons. Nach einigen Minuten war es dann soweit. Der heißersehnte Anruf kam.
Mimmi ging, so rasch sie nur konnte, ans Telefon und Johnny guckte mit weit aufgerissenen Augen, wie agil doch seine Mimmi noch sein konnte, wenn es denn sein musste.
»Ja, Traudel Meinert am Apparat?«, gab sie, nun doch leicht außer Puste, zu verstehen. Es folgte ein undeutliches Geschnatter.
Johnny stand wieder einmal im Türrahmen des Wohnzimmers und sah, wie Mimmi eine Adresse nach der anderen auf ihren Schreibblock aufschrieb, der immer griffbereit neben dem Telefon lag. Nach einigen Minuten sollte es dann soweit sein.
»Sir Peter, ich bin ihnen wie schon so oft zu großem Dank verpflichtet. Ein gutes Essen aus meiner Küche, ist ihnen demnächst sicher. Danke nochmals und gute Nacht.«, dann legte sie wieder den Hörer in die Gabel.
»Ach mein Junge, dieser Mann ist so eine gute Seele von Mensch. Er hat mir schon in so mancher einsamen Zeit beigestanden. Ohne Frage, ein unersetzbarer Mensch. Für mich zumindest. Wahrlich ein getreuer Freund.«, schwelgte sich Mimmi in Erinnerungen.
»Warum heiratest du ihn nicht?«, fragte Johnny so ganz frech.
»Heiraten? Ich noch mal und das in meinem Alter? Also Johnny, manches Mal mache ich mir schon so meine Gedanken über dich? Muss ich dir mal sagen.«, rügte sie ihren Enkel.
»Entschuldige bitte, ist mir so herausgerutscht.«, sagte er mit einem kühlen und vorsichtigen Lächeln.
»Schon gut mein Junge. Aber nun lass uns gemeinsam diese Adressen durchgehen. Und die, die wir für richtig halten, rufen wir als erstes an. Okay?«, sagte sie zu ihm.
»Gute Idee. Dann nahm Johnny den Notizblock an sich und begann vorzulesen. Insgesamt standen dort 6 Adressen unter dem Namen Roiger.
»So Mimmi. Eines ist vorerst klar: Jeder dieser 6 Adressen, könnte die richtige sein. Da sie mir ja erzählte, dass sie nur vorläufig bei ihren Eltern lebt. Hier haben wir eine Sophie Roiger. Die Nummer lautet 615576-30.«, las er ihr vor. Während Mimmi bereits das Telefon parat hatte und die Nummer alsgleich wählte.
»Jetzt mach dir mal keine Gedanken, wenn sie bei einer dieser Adressen wohnt, werde ich es schon herausbekommen. Ich versuche es vorerst mit Raffinesse.«, so wartete Mimmi, nachdem sie die Nummer gewählt hatte, auf eine Reaktion am Ende der Leitung.
»Roiger?«, kam am anderen Ende zu hören.
»Guten Tag, spreche ich mit Sophia Roiger?«, fragte Mimmi, nicht mal verlegen.
»Ja, ich bin Sophia Roiger. Sie wünschen bitte?«, erklärte sie sich.
»Verzeihen sie mir, liebe Sophia, ich hätte gerne ihre Tochter Sheila gesprochen?«, gute Idee von Mimmi.
»Wie bitte, meine Tochter Sheila? Ich habe überhaupt keine Tochter mit diesem Namen, ich habe überhaupt keine Tochter.« Gab die Dame am anderen Ende zu verstehen.
»Oh Verzeihen sie mir, dann muss es sich wohl um einen Irrtum Handeln.«, gab Mimmi ganz dezent zu verstehen.
»Aber das macht doch nichts. Guten Tag.« Und die Dame legte auf.
»Tja, mein lieber. Dieser Schuss, wie man so schön sagt, ging nach hinten los. Dann gib mir mal die nächste Nummer an.«, forderte Mimmi von ihren Enkel.
So ging es zügig weiter und zwar solange, bis nur noch eine Nummer übrig war.
»Mimmi, es ist nur noch eine Nummer übrig. Wenn die auch nicht zum gewünschten Erfolg führt, dann weiß ich auch nicht mehr weiter. Man, hoffentlich haben die keine Geheimnummer.«, schmollte Johnny.
»Meine Güte, Jungchen, mal doch nicht immer gleich den Teufel an die Wand. Wenn es mit diesen Adressen nicht klappen sollte, dann wird mir schon noch etwas anderes einfallen. So gib mir nun die letzte Nummer durch.«, forderte Mimmi forsch. Als Mimmi die besagte und letzte Nummer gewählt hatte, warteten beide voller Hoffnung. Nur mit dem einen Unterschied, das Mimmi ihre Aufregung unter brillanter Kontrolle hatte, im Gegensatz zu Johnny, der aufgeregt an seinen Fingernägeln zu kauen begann.
»Claudia Bogner, Oberaufsicht und Haushälterin von Familie Roiger am Apparat, was kann ich für sie tun?« Gab sie zu verstehen.
»Ja, guten Tag, ich bin eine ehemalige Lehrerin von Fräulein Sheila Roiger, könnte ich sie vielleicht mal kurz sprechen?«, eine gekonnte Notlüge, die Mimmi dieser Haushälterin aufschwatzte, so dass Johnny seine Großmutter verblüfft ansah. Hatte er sie doch das erste Mal in seinem Leben schwindeln gehört.
»Gerne, wenn sie etwas Geduld haben, dann werde ich sie holen gehen?«, bot sie Mimmi an.
»Gewiss doch, lassen sie sich nur Zeit. Ich werde so lange am Apparat bleiben. Und vielen Dank auch.«, erwiderte Mimmi der Haushälterin.
»Johnny, Bingo. Ihre Haushälterin geht sie holen. Los, jetzt bist du an der Reihe.«, forderte sie nun.
»Ich, aber nicht doch. Was soll ich ihr denn sagen, nachdem du so geschwindelt hast.«, Johnny drückte sich plötzlich.
»Das, mein lieber, ist jetzt deine Sache. Los, jetzt kannst du mal zeigen was du für ein Mann bist, wie lieb du sie wirklich hast! Es ist vielleicht deine letzte Chance?«, gab Mimmi ihrem nervösen Enkel unweigerlich zu verstehen.
Und Johnny wartete am Telefon, völlig aufgelöst und zum Zerreißen nervös. Er zitterte förmlich am ganzen Leibe. Wie würde sie auf diesen Anruf reagieren. Würde sie überhaupt etwas sagen? Würde sie ihm Glauben schenken, wenn er ihr seine Liebe gestand? Die pure Angst durchfloss Johnnys Herz. Noch nie in seinem Leben hatte er vor etwas wirkliche Angst. Doch nun hatte er Angst vor dieser Situation, Angst davor, dass sie seine Gefühle, ja, seine Liebe nicht erwidern würde. Johnny hoffte voller Leidenschaft. Ihm war klar, da musste er durch. Denn er liebte sie abgöttisch. Er atmete tief ein und versuchte auf diese Art Ruhe zu bewahren. Er durfte jetzt keinen Fehler machen. Nichts, aber auch rein gar nichts unüberlegtes zu ihr sagen. Mimmi inspizierte ihren Enkels Verhalten aufs Genaueste. Sie sah seine Nervosität. Sie begriff in diesem Moment, dass ihr Johnny dieses Mädchen wahrhaft liebte. Noch nie hatte sie ihn so aufgeregt erlebt, wie in diesem Augenblick.
»Meine Güte, diese Stufen geben mir noch mal den Rest.«, gab Claudia pustend im Selbstgespräch, während sie gerade die letzte Stufe der insgesamt zweiunddreißig erreicht hatte, von sich. Vor Sheilas Zimmer angelangt, klopfte sie im mehrmaligen Takt an dessen Türe.
»Ja, herein bitte.«, bat Sheila, während sie sich ihrem Tagebuch widmete.
»Liebes, hast du mal kurz Zeit. Ein Anruf für dich?«, erklärte sie völlig außer Puste. Natürlich hätte Sheila auch einen Telefonanschluss in ihren zwei Zimmern haben können. Doch Sheila wollte dies nicht. Sie wollte in ihren Räumlichkeiten absolute Ruhe haben. Auch von Handys hielt sie nicht viel. Lieber rannte sie die gesamten zweiunddreißig Stufen in den großen Saal hinunter, wenn sie mal dringend telefonieren musste, als dass sie sich solch eine Elektronik anschaffen würde. Ihre Meinung darüber: Man wird nur davon faul wie bequem.
»Wer ist es denn?«, fragte Sheila fast uninteressiert wirkend.
»Sie sagt sie sei eine ehemalige Lehrerin von dir.«, wies Claudia hin.
»Was? Eine ehemalige Lehrerin, komisch. Warte Claudia, ich komme gleich mit.«, sagte Sheila.
Und während sie so die zweiunddreißig Stufen herab stiegen, »Sheila, deine Abneigung gegen Telefone und Handys in allen Ehren, so wünschte ich schon, dass du wenigsten eines in deinem Zimmer installieren ließest. Weißt du, mein Schatz, ich bin wahrlich nicht mehr die frischeste.« gestand und beschwerte sich Claudia so ganz nebenläufig.
»Gut, dir zuliebe, dass du es leichter hast. Du kannst dies ja eigenmächtig mit der Telefongesellschaft arrangieren. Bist du nun zufrieden?«, gab Sheila nach.
»Du bist ein Schatz. Ich habe dich lieb.«, freute sich Claudia.
»Gerne geschehen meine Liebe.«, erwiderte Sheila. Dann kam sie ans Telefon.
»Ja, hier Sheila Roiger am Apparat?«, gab sich Sheila zu erkennen. Doch zunächst bekam sie keine Antwort.
»Was ist denn mit dir Johnny? Du musst doch etwas sagen?« forderte Mimmi im Flüsterton von Johnny. Sie bemerkte Johnnys Nervosität und begriff in Windeseile, dass ihr Enkel in diesem Augenblick kein einziges Wort mehr herausbekommen würde, also stand sie so schnell sie nur konnte von Ihrem Sessel auf und eilte zu Johnny, der nur da stand und keinen Mucks von sich gab. Mit einem gekonnten Griff riss sie ihm regelrecht den Hörer aus der Hand.
»Äh, entschuldigen Sie, Fräulein Sheila. Ich weiß, dass ich mich für eine Ihrer früheren Lehrerinnen ausgab. Doch in Wirklichkeit bin ich es gar nicht.«, gestand nun Mimmi. Sie fühlte sich nicht gerade sehr wohl, in welche Situation ihr Enkel sie gerade gebracht hatte.
»Ja, aber warum das alles und wofür? Und vor allem was wollen sie eigentlich von mir?« Eine berechtigte Frage, die da Sheila Mimmi stellte. Auch Claudia wurde nun hellhörig, nahm ein Taschentuch aus Ihrer linken Schürzentasche heraus und tat so, als wische sie den ohnehin makellos eingewachsten, also auf Hochglanz polierten Tisch.
»Ja, wissen Sie, ich weiß jetzt gar nicht so recht, wie ich es ihnen am besten erklären könnte? Eigentlich wollte jemand aus meiner Familie mit ihnen reden, den sie erst vor kurzem kennen gelernt haben.«, versuchte Mimmi zu erklären.
»So, und wer sollte dieser jemand sein, und vor allem wann und wo sollte ich jene oder jenen kennen gelernt haben?«, horchte Sheila Mimmi aus. Insgeheim hatte Sheila schon einen Verdacht und sie betete regelrecht im Gedanken, dass es jener welcher ist, den sie vermutete. Doch wollte sie sich erst absolut sicher sein, bevor sie reagieren konnte.
»Fräulein Sheila, es handelt sich hierbei um meinen Enkel. Diesen jungen Mann haben sie im Zug hier nach Stuttgart kennen gelernt. Verzeihen sie ihm, dass er sie nicht selbst anrief, aber er ist so etwas von nervös, dass er einfach keinen Ton heraus bekam.
»Warten sie einen Moment, Sie sind Mimmi, nicht wahr? Hab ich recht?«, fiel es Sheila wie Schuppen vom Kopfe.
»Ja, aber woher wissen sie denn das? Ach, Sie wissen, dass es um Johnny meinem Enkel geht? Sie haben ihn folglich auch nicht vergessen?«, stellte Mimmi fest und freute sich ungemein.
»Ich muss zugeben, dass ich sogar sehr viel an ihn gedacht hatte? Aber sagen Sie mir bitte, wie haben sie denn überhaupt meine jetzige Adresse herausbekommen? Wir beide hatten doch glatt vergessen, unsere Adressen auszutauschen. Verrückt nicht wahr?«, gestand Sheila, nun völlig durcheinander und nervös.
»Ist überhaupt nicht schlimm. Im Rausch der Liebe, kann alles passieren. Man ist sozusagen nicht mehr Herr seiner Sinne. Doch genau dies macht es ja so schön. Übrigens, wir sollten uns duzen, wenn Sie denn mögen, ja?«, bot Mimmi an.
»Klar mag ich, Mimmi. Kann ich jetzt bitte Johnny sprechen?«, bat sie Mimmi. Nun pochte und klopfte Sheilas Herz wie noch nie in ihrem Leben zuvor. Außer als sich ihrer beider Lippen zum ersten Mal berührten. Denn sie würde jeden Augenblick mit Johnny reden dürfen.
Währenddessen und noch bevor sich Mimmi und Sheila Verabschiedeten, tauschten beide ihre Telefonnummern aus. Natürlich auch die von Johnnys Zuhause. Dann reichte Mimmi ihrem hochgradig nervösen Enkel den Hörer.
Johnny blieb nun nichts anderes übrig, wenn er Sheila nicht verärgern wollte, als seine Nervosität in Zaum zu halten und mit ihr zu reden.
»Johnny, bist du am Hörer, sag doch bitte was.«, auch Sheila tat sich enorm schwer, ihre Nervosität unter Kontrolle zu halten. Sie begann zu weinen. Und als Johnny dies bemerkte, kamen auch ihm die Tränen. Was auch Sheila bemerkte. Auch Mimmi entging dies nicht und legte ihren Arm um Johnnys Schultern. Was ihm sehr half.
»Sheila? Verzeih, dass ich so feige war und meine Mimmi vorschob. Ich hatte Angst, dass du vielleicht nicht so fühlst, wie ich für dich empfinde. Ich weiß selbst nicht, was mit mir los ist. Wir kannten uns doch nicht einmal sehr lange. Ich weiß, ich dürfte dir das noch nicht sagen, aber ich liebe dich, Sheila.«, dann schwieg Johnny.
Er hatte noch nie in seinen Leben ein solch intensives Gefühl verspürt, wie in diesem Moment. Wie würde sie auf sein Geständnis der Liebe reagieren. Wie würde sie sich äußern. Vielleicht, dass sie ihn nur, in Anführungsstrichen, gern hätte. Johnny bebte innerlich. Am liebsten würde er jetzt losschreien, ihre Liebe mit allem Verlangen, fordern. Es folgte ein Moment quälender Stille.
»Johnny? Ich fühle wie du. Und genau dieses Gefühl für dich ist so stark, dass es mir Angst macht. Auch ich weiß nicht, was mit mir geschehen ist. Doch bitte ich dich, mir etwas Zeit zu geben. Verstehe mich nicht falsch. Es ist ein großer Schritt, wenn ich mich für dich und damit für eine gemeinsame Zukunft, entscheiden soll. Ich habe wie du weißt, erst eine schreckliche Partnerschaft hinter mir. Gib mir bitte etwas Zeit. Ich werde jetzt auflegen. Und egal wie lange es dauert, bitte melde dich nicht bei mir. Wenn ich bereit dazu, bereit für dich bin, dann rufe ich dich an. Wenn du mich wirklich so sehr liebst wie du sagst, wirst du auf mich warten. Ich bin mir dessen bewusst, dass diese ungewisse Zeit für dich eine Qual werden wird. Doch im Augenblick kann ich nicht anders handeln.«, dann legte Sheila auf.
Verdammt, was habe ich denn jetzt für einen Mist daher geredet. Ich habe ihm Hoffnungen gemacht. Claudia, findest du, dass es falsch war?«, fragte sie Claudia, die noch immer uninteressiert wirkend, den schon längst blitzblanken riesigen, zirka Fünfzig Personen Tafeltisch polierte.
»Nicht, wenn du ihn wirklich liebst. Es ist gut so, denn Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Doch wenn du dir nicht sicher bist, dann ist deine Vorgehensweise nicht korrekt. Denn dann würdest du ihn auf eine gewisse Art, sagen wir mal, für dich warm halten. Zudem, hast du gerade eben einen Menschen, der dich vermutlich mit allen Sinnen, also von ganzem Herzen liebt, sehr wehgetan. Denn dieser Mann wird jetzt von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag, von Woche zu Woche und das in einer für ihn quälenden Ungewissheit verbringen müssen, weil du ihm Hoffnungen gemacht hast. Oder du bist fair genug, ihm ein für alle mal klar zu machen, dass du ihn nicht lieb genug hast. Das letztere, wenn es denn so ist, bist du diesem Mann schuldig. Kein Mann, der so liebt, dich so liebt, verdient so ein mieses Hinhalten.«, erklärte Claudia in Weisheit.
»Claudia, ich liebe diesen Mann. Ich liebe ihn wirklich. Ich habe nur Angst, dass er vielleicht so werden könnte, wie Karl es getan hatte.«, erklärte Sheila mit Tränen in den Augen.
»Mein kleiner Schatz, jede Liebe ist wie ein Abenteuer. Jede Liebe will erst einmal gelernt sein. Jede Liebe will geprüft werden und jede Liebe muss reifen, muss in sich und in seinem Erlebten miteinander wachsen, ineinander verschmelzen, zu einem Ganzen werden. Zu einem Ganzen, so dass ihr diese, eure ganz bestimmte und eigene Liebe, in harmonischen Jahren auslebt. Und sei es nur ein Augenblick oder ein ganzes Leben lang. Jeder Moment der wahren Liebe verdient es, erlebt, durchlebt zu werden. Du kannst nicht aus Angst aus deinem Erlebten jenen Mann für Karl verantwortlich machen. Karl war Karl und Johnny ist Johnny. Gönne dir diese Momente oder gar ein ganzes Leben mit ihm. Und sollte sich Johnny als Mistkerl entpuppen, so bleibt es dir überlassen, ob du ihm den Laufpass geben wirst oder nicht. Also, du liebst ihn, er liebt dich. Was hast du schon zu verlieren. Sollte es nicht klappen, na dann bist du eben um eine Erfahrung reicher. Davon meine Liebe, geht die Welt bestimmt nicht unter. Ich weiß, dass du meine Worte für sehr hart und vielleicht ein kleines bisschen für unangebracht hältst, das tun alle die verliebt sind, wenn man sie vor vollendete Tatsachen stellt. Denn Liebe macht ja bekanntlich blind. Doch will ich dir noch eines sagen. Entscheidest du dich gegen Johnnys Liebe, wird mit Sicherheit die Zeit deine Wunden im Herzen heilen. Doch wird der Tag kommen, an dem du dich fragen wirst, ob du auch richtig gehandelt hast. Du wirst dir ein Leben lang Vorwürfe machen, ob du nicht doch mit Johnny glücklich geworden wärst. Sicherlich wirst du dich eines Tages wieder aufs Neue verlieben, aber daran denken wirst du immer.«, erklärte Claudia.
Ihre Worte drangen so tief in Sheilas Herzen ein, dass Sheila bedenklich, ja, nur noch dümmlich wirkend und regungslos stumm, mit weit aufgerissenen Augen, dastand.
»Wow, Claudia, was du so alles über die Liebe weißt? Beachtlich, in der Tat beachtlich.«, wies Sheila darauf hin.
»Aber nicht doch, ich weiß auch nicht mehr als andere. Es ist nur so, dass für unsere Generation damals die Liebe einen ganz anderen Stellenwert hatte.«, warf Claudia ein.
»Wieso sagst du so etwas? Ist denn die Liebe in meiner und jetzigen Generation vielleicht nicht die gleiche Liebe, wie ihr sie damals empfandet?« Eigentlich eine kluge Feststellung, die da Sheila äußerte. Wenn da nicht Claudia anderer Meinung wäre.
»Gewiss und dessen bin ich mir sicher, fühlt ihr genauso intensiv wie wir damals. Nur geht ihr heutzutage, sagen wir mal, nicht so verantwortungsvoll damit um als es wir in unserer Zeit taten.«, verglich Claudia.
»Was? Wie kommst du denn darauf, Claudia?«, wollte sie jetzt wissen.
»Ach du meine Güte Sheila, ich bitte dich. Du fragst mich das allen Ernstes? Du brauchst dir doch nur mal die heutige und aktuelle Scheidungsrate anzuschauen. Statistisch gesehen lässt sich jede dritte Ehe im ersten Jahr scheiden und jede zweite geschlossene Ehe innerhalb von fünf bis sieben Jahren. Das, mein Spätzchen, gab es in meiner Zeit bei weitem nicht. Du kannst das getrost im Staatsarchiv nachblättern. Anstatt sich den ehelichen Problemen zu stellen und gemeinsam zu versuchen einen Weg zu finden, um die Ehe zu retten, ist es für die heutige Generation doch viel angenehmer, sich diesen Übels zu entledigen. Und was mich am meisten daran ärgert, ja was mich zur Weißglut bringt, ist doch die Tatsache, dass keiner bei einer Scheidung an die Kinder denkt, wenn denn welche da sind.
Kein einziger. Da wird gnadenlos beim Anwalt und vor dem Gericht mit allen nur erdenklichen Tricks gegeneinander gearbeitet. Auf Teufel komm heraus dreckige Wäsche gewaschen und das ohne auf die Kinder, die ja in den meisten Fällen darunter leiden, weil sie eben beide Elterteile lieb haben, Rücksicht zu nehmen. Ich könnte manches mal vor Wut in die Luft gehen, wenn ich dann höre, wie dieselben, die bei Gericht sitzen und sich gegenseitig kein einziges gutes Haar mehr am Kopfe lassen, von Kinderliebe sprechen. Meiner Meinung nach, benutzen sie ihre Kinder für ihre eigenen Zwecke. Keine Spur von Rücksicht auf das unsagbare Leid dieser noch so kleinen Menschlein bei diesen so scheußlichen Verhandlungen. Sheila, ich will dir keine Predigt halten und es hat vielleicht auch nicht hundertprozentig mit deinem Problem zu tun. Doch wollte ich dir sagen: Solltest du mit Johnny zusammenkommen, also dass ihr euch findet und ihr ein Kind bekommt, dann solltet ihr beide um eure Liebe kämpfen, für euch und euer Kind. Ungeachtet dessen, was auf euch in der Zukunft noch hereinbrechen würde!«, erklärte Claudia sich ärgernd.
»Weißt du was Claudia, ich bin echt froh, dass ich von Karl kein Kind bekommen habe. Doch eines werde ich dir versprechen, sollte es wirklich Gott gefallen, dass ich und Johnny, dass wir uns eines Tages trennen werden und ein Kind in unserer Mitte sich befände, so werde ich Johnny nicht seines Kindes und dem Kind nicht des Vaters berauben. Das schwöre ich, so war mir Gott helfe.«, schwor Sheila.
Als Claudia das hörte, schwieg sie zwar, dennoch konnte man in ihrem Gesichtausdruck deutlich die Freude über Sheilas festen Entschluss erkennen.
»Du hast dich also doch für diesen Johnny entschieden?«, fragte Claudia nun, unter einem leicht sichtbaren - schon vorher gewusst - Blick.
»Das, meine gute Claudia, werde ich dir heute Abend nicht mehr verraten.«, neckte Sheila, natürlich nicht böse gemeint, Claudia.
»Oh, du kleines Ungeheuer. Beabsichtigst du wirklich, deiner armen alten Claudia eine schlaflose Nacht zu bescheren? Das ist doch nicht dein Ernst oder?«, drängte Claudia neugierig.
»Ach was, natürlich nicht. Ich werde ihn morgen früh bei seiner Großmutter anrufen und ein Treffen vereinbaren. Bist du nun zufrieden?«, sagte Sheila.
»Gewiss, bis ins Innerste meines Gemütes, mein Kind.« Erwiderte Claudia.
Sheila und Claudia unterhielten sich noch bis tief in die Nacht hinein und als es schon längst weit über die Schlafenszeit war, verabschiedete sich Sheila von Ihrer Claudia und ging zu Bett. Hundemüde, wörtlich gesprochen, lies sich Sheila aufs übergroße Französische Bett fallen. Sheila wälzte sich in ihrem Bett hin und her. Obwohl sie sehr müde war, konnte sie nicht einschlafen, ja brachte sie kein Auge zu. Ihre Gedanken kreisten um Johnny. Würde es auch richtig sein, ihn morgen früh anzurufen um ein Treffen mit ihm zu anrangieren?
Ja, ich liebe ihn. Er geht mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Muss immerzu an ihn denken. Ich sehne mich nach ihm. Dieser Blick, diese stechenden dunkelbraunen, ja fast schwarzen Pupillen. Ich kann seinen Blick nicht vergessen. Es kam mir so vor, als hatte er Angst, ja richtige Angst, Abschied zu nehmen. Komisch, wenn ich jetzt so darüber nachdenke, erging es mir in diesem Abteil des Zuges eigentlich auch nicht viel anders. Irgendwie hatte ich bei ihm das ganz bestimmte Gefühl, geborgen zu sein. Dass mir bei ihm nichts, aber auch rein gar nichts geschehen könnte, dass ich bei ihm absolut sicher bin. Als kannten wir uns schon eine sehr lange Zeit. Unglaublich, das darf ich außer meiner Claudia niemandem erzählen, die würden mich doch glatt für närrisch befinden?«
Wie es wohl sein wird, wenn wir das erste mal miteinander? Ach daran sollte ich nun überhaupt nicht denken. Wie beliebte meine Claudia stets zusagen? Was geschehen soll, wird letztendlich Geschehen. Dachte sich Sheila.
Noch einige Minuten vergingen, und Sheila Schlief schließlich doch noch wohl behütet ein.
Währenddessen kamen Sheilas Eltern von Bürgermeisters und Stadtrats Treffen nach Hause. Es war schon 2 Uhr 35, morgens also, schon weit über Mitternacht. Claudia hingegen machte es sich wie schon so oft in einem der so vielen sich befindlichen und überaus bequemen Sesseln im Salon gemütlich, was natürlich von einem Nickerchen gekrönt wurde. Claudia war nicht der Typ, der, wenn es Schlafenszeit wurde, brav ins Bettchen ging. Im Gegenteil, sie konnte einfach den Gedanken nicht ertragen, auch wenn Herr und Frau Roiger noch so spät nach Hause kamen, nicht anwesend zu sein, falls die hohen Herrschaften noch etwas benötigten. Sei es noch ein Glas Likör oder vielleicht, was ja ab und an vorkam, einen kleinen Imbiss. Den Rest des Hauspersonals, das hier nächtigte hingegen, schickte sie zeitig zum Schlafengehen. Dieses oft vorkommende Prozedere behielt sich Claudia natürlich vor. Obwohl dies meistens von Seiten der Hohen Herrschaften gelegentlich eine nicht so ernst gemeinte Rüge mit sich zog. Claudia hatte trotz des Nickerchens ein unglaubliches und hochempfindliches Gehör. Sie schlief quasi nur mit einer Hälfte ihres Gehirnes. So wie es eigentlich nur Tiere tun. Die stets wachsam sein mussten, um nicht selbst erbeutet zu werden. Claudia erwies sich so gut in ihrer Wachsamkeit, dass sie schon die äußerste und mächtig große Haustüre sich öffnen hörte. Auf diese Weise blieb ihr noch genügend Zeit, zur inneren Türe zu gelangen, die erst einmal zum Vorgang führte, durch den die Hohen Herrschaften mussten, um den Salon zu erreichen, wo natürlich in stolzer Ausdrucksweise und mit erhobenen Hauptes, Claudia zu deren Empfang bereit stand. Es war den Roigers wahrlich ein Rätsel, wie Claudia, egal um welche Uhrzeit auch immer, es sei denn sie kündigten sich an, wissen konnte, wann sie im Hause erscheinen würden. Mit den Jahren gaben sie es auf, danach zu fragen.
Wie gesagt, auch getan, stand Claudia schon zum Empfang, als die Roigers die Türe zum Salon öffneten.
»Guten Morgen die Herrschaften.« grüßte Claudia mit einem winzig kleinen lästerrischen Unterton, während sie die abgelegten Mäntel der Herrschaften entgegen nahm und über ihren rechten Arm legte, um sie nach Erhalt eines weiteren Wunsches in die eigens sich dafür befindliche Kleiderkammer ordentlich aufzubewahren.
»Ja Claudia, ist mal wieder recht spät geworden.«, erklärte Herr Roiger.
»Darf ich ihnen noch einen Wunsch erfüllen?«, fragte Claudia.
»Nein danke meine Liebe, wir werden sofort zu Bett gehen.«
Als die hohen Herrschaften die elegante Wendeltreppe, leicht schleppend wirkend, hochstiegen, dachte sich noch Claudia, Reichtum ist auch nicht alles. Diese ganzen Verpflichtungen und Empfänge und immer und immer wieder seinen Namen und Titel zu präsentieren, kann doch nicht das wahre Leben sein. Man müsste mehr Ausgeglichenheit als Titel, Macht und Geld für sein Leben fordern. Claudia dachte, dass die Tochter des Hauses nicht dazugehöre. Nur zu oft verstand Claudia Sheilas verhalten. Es war nicht nur der Pomp und Prunk oder gar der schnöde Mammon, den Sheila oft weinen ließ, nein es war lediglich die Einsamkeit, dass dieses Kind für den Erfolg ihrer Eltern bezahlen musste. Sie liebte ihre Eltern, die anscheinend unfähig waren, diese Liebe gänzlich zu erfüllen. Doch was konnte denn Claudia schon dagegen machen, außer Sheila zu trösten, wenn es nötig war.
Ja, dieses Kind hat eigentlich alles und doch am Ende gar nichts. Dachte sich noch Claudia, während ihr schwer ums Herz wurde.
Trotz alledem konnte dieses Trösten und die Gabe ihrer eigenen Liebe nicht die liebe ihrer Eltern ersetzen. Dessen war sich Claudia stets bewusst und machte sich diesbezüglich auch nichts vor.
Ach es ist schon ein Jammer, wenn doch nur Sheila meine Tochter wäre? Dachte sich noch Claudia. Dann löschte sie noch sämtliche Lichter des großen Saales und die des Eingangsbereiches, schaltete die Alarmanlage ein, die gleich im Eingangsbereich der Küche an der Wand hing, und ging nach unten in ihre Bediensteten-Wohnung, um sich auch endlich von ihrem arbeitsreichen Tag etwas zur Ruhe zu betten.



 Kapitel 5
© 2008 by Peter Althammer

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