Marcel Duchamp: Eine BiographieCalvin Tomkins
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Auf dem ersten wirklichen Readymade der Welt stand " In advance of the broken arm". Es war eine Schneeschippe, gekauft an der New Yorker Columbus Avenue. Angeblich hatte Duchamp bis dahin nie ein solches Gerät gesehen, schulterte es also stolz und ging zurück ins Atelier. Dort schrieb er jenen Satz darauf und signierte die Schaufel "(durch) Marcel Duchamp 1915". Fertig war die Kunst und eine der revolutionärsten ästhetischen Ideen des 20. Jahrhunderts geboren. Readymades waren maschinell hergestellte Massenprodukte, Objekte ohne ästhetische Qualitäten, die nur durch einen Titel oder die Unterschrift zum Kunstwerk wurden: ein Urinal, eine Fahrradfelge, ein Gestell zum Flaschentrocknen. Nicht mehr der Stil galt hier als artistische Kennzeichnung, sondern der "neue Gedanke", das Gewöhnliche außergewöhnlich zu machen. Am Ende seines Lebens sagte Duchamp: " Ich bin mir gar nicht sicher, ob nicht das Konzept des Ready-mades die bedeutendste Einzelidee ist, die aus meinem Werk hervorgegangen ist". Duchamp hat mehr zur Kunstgeschichte dieses Jahrhunderts beigetragen als nur eine Einzelidee. Er was so etwas wie der Lausbub der modernen Kunst. Kein anderer Künstler erreichte so viel mit so wenig - es genügte ein Bärtchen ums ewige Lächeln der Mona Lisa, darunter die Lettern " L. H. O. O. Q. " (französisch ausgesprochen: elle a chaud au cul, sie hat einen heißen Arsch), um eine Flut von Vergleichen zwischen Leonardo und dem Wortspieler Duchamp folgen zu lassen. Calvin Tomkins, der seit seiner persönlichen Bekanntschaft in den 60ern über Duchamp denkt und schreibt, hält sich mit Analysen in seiner Biographie zurück. Er schreibt klar, bisweilen etwas zu diskret für sein extravagantes Objekt. Insgesamt ist Tomkins jedoch ein erfrischend ausgewogenes Porträt gelungen, das den Duchamp-Einsteiger genausowenig überfordert, wie es den Kenner langweilen dürfte. Zahlreiche Textabbildungen tun ein übriges. < I>-Nikolaus Stemmer
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