Durch die Hölle der GewaltSamira Bellil
Gebundene Ausgabe
Schreiben als Befreiungsschlag aus sexueller Traumatisierung. Leser dieses erschütternden Jugendberichts sollten darauf gefasst sein, die Gefilde eines geregelten menschlichen Miteinanders zu verlassen und stattdessen mit den Gesetzen des Dschungels konfrontiert zu werden. In diesem Fall sind dies die Zustände in den Vorstädten von Paris mit ihren marodierenden Jugendbanden - Brutstätten archaischer Gewalt. Samira Bellil, Täterin und Opfer zugleich, konnte nur mit äußersten Mühen dieser Hölle entrinnen. Bis zu ihrem elften Lebensjahr war die Kindheit der Tochter algerischer Einwanderer viel versprechend verlaufen. Ihre Interessen, erinnert sich Samira, galten den schönen Künsten und dem Ballett. Mit der Pubertät begann die Rebellion. Samira gefiel sich in der Rolle der "caillera", eines Ghettokids. Das elterliche Auffangnetz war löchrig, die soziale Schieflage vorprogrammiert. Diversen Schulverweisen folgte der Weg in die Kleinkriminalität. Die Cliquen wurden Samiras Zuhause. Mit 13 geriet sie schließlich in die Fänge des sechs Jahre älteren " König Jaïd" und seiner Gang. Seit den 1980er-Jahren registriert man in Frankreich eine zunehmende Cliquenbildung in den sozialen Brennpunkten der Trabantenstädte. Gemeinschaftliche Vergewaltigungen unter der " Kontrolle" des Bandenchefs sind an der Tagesordnung und gelten als Mutprobe und Ehrenbezeugung. Nur eine geringe Anzahl der Straftaten wird aktenkundig. Scham und Repression halten die Dunkelziffer hoch. So auch bei Samira. Zwischen ihrem 14. Und 17. Lebensjahr wurde sie dreimal Opfer gemeinschaftlicher Vergewaltigungen. Noch heute wird in Samiras leblos-nüchternem Berichtston die seelische Vereisung spürbar, die die grausamen Gewaltakte bei ihr bewirkten. Nur mithilfe einiger guter Geister, allen voran einer erfahrenen Psychologin, konnte Samira dem Gewaltkreislauf und ihren Peinigern entkommen - und ihre Erfahrungen in diesem beklemmenden Lehrstück über soziale Verrohung niederlegen. Der französischen Justiz in ihrer bisherigen Verharmlosungstendenz steht eine wichtige Aufgabe bevor. Samira Bellils aufrüttelndes Buch könnte sie auf die richtige Spur bringen. < I>-Ravi Unger
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