"I am not convinced": Der Irak-Krieg und die rot-grünen JahreJoschka Fischer
Taschenbuch
Man mag zur rot-grünen Bundesregierung gestanden haben, wie man will. Eines steht fest: Sie hat Deutschland vor dem verhängnisvollen Mitmarschieren in den Krieg gegen den Irak bewahrt und sich damit historische Verdienste erworben. Während sich Angela Merkel 2002 bemüßigt gefühlt hatte, in Washington vorstellig zu werden, um für den Fall eines Unionssieges bei den bevorstehenden Bundestagswahlen ihre Gefolgsbereitschaft zu versichern, haben die Falken um George W. Bush bei Bundeskanzler Gerhard Schröder und erst recht bei seinem Vize, Außenminister Joschka Fischer, bis zuletzt auf Granit gebissen. Unvergessen wie dieser auf der Münchner Sicherheitskonferenz dem als Kriegstreiber auftretenden U S-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ein beherztes " I am not convinced" entgegen schleuderte. Wie berechtigt die Zweifel an der windelweichen Beweislage für die mobilen Massenvernichtungswaffenarsenale des irakischen Diktators Saddam Hussein waren, denen Fischer mit diesen Worten Ausdruck verlieh, belegt just zum Zeitpunkt des Erscheinens des gleichnamigen zweiten Bandes seiner Erinnerungen an die rot-grünen Regierungsjahre ein Interview im Guardian, in dem sich der seinerzeit vom B N D unter dem Decknamen " Curveball" geführte Überläufer, auf dessen Kronzeugenaussagen sich die Amerikaner stützten, selbst als eine Art Lügner für die gute Sache "outete". Weit über die Hälfte des gut 370 Seiten starken, erstaunlich gut, lebendig und spannend geschriebenen Werkes, das erkennbar aus Fischers eigener Feder stammt, ist dem Eiertanz um den Irak-Krieg gewidmet. Es setzt an jenem denkwürdigen 11. September 2001 ein, und es scheint so, als hätte sich tatsächlich alles so zugetragen, wie man es sich vorgestellt und irgendwie auch noch bestens in Erinnerung hat. Selbst hinter den Kulissen, wo ja gerade auf dem außenpolitischen Parkett für gewöhnlich das Arkanprinzip waltet, wie die Enthüllungen von Wikileaks belegen. Fischer versteht es, seinen ungewöhnlich unpolemisch und unprätentiös gehaltenen Geschichtsrapport mit intelligenten Exkursen von großer analytischer Kraft zu garnieren. So etwa wenn er auf die für die verheerenden Bush-Doktrinen verantwortlichen " Neocons" zu sprechen kommt, die er als einen von der radikalen Linken zur Ultrarechten mutierten Haufen von Weltverbesserungssektierern vorstellt , deren Machbarkeitsutopismus alles andere als konservativ sei: " Wenn man so will, war meine Ablehnung der Neokonservativen und ihres Marsches in den Krieg gegen den Irak nicht nur intellektuell und politisch begründet, sondern auch sehr stark eine Instinktreaktion, die sich aus meiner eigenen linksradikalen Biografie ergab. " Man mag ja zum Opportunismus des machtpolitischen Chamäleons Fischer stehen wie man will, zu seinen Selbstinszenierungen und Metamorphosen vom militanten Berufsrevolutionär zum friedensbewegten Ökopax, vom großmäuligen Oppositionsführer im Bundestag zum bedächtigen Vizekanzler. Doch eines muss man ihm lassen: Wie in allen seinen Rollen ist er auch als Diplomat im Dreiteiler zu Hochform aufgelaufen. Bei aller berechtigten Kritik an der von ihm mitbetriebenen Neudefinition des militärischen Selbstverständnisses der Bundesrepublik hat er ihr damit zweifellos zu größerer Weltgeltung verholfen. Und seine Meriten für das europäische Einigungsprojekt sind trotz der von den Amerikanern geschürten vorübergehenden Irritationen zwischen "altem" und "neuem" Europa unbestritten. Und was die zweifelhafte China- und Russlandpolitik anbelangt, so geht diese eindeutig auf die Kappe Gerhard Schröders. Er war es, der die speziellen Beziehungen zu diesen beiden Staaten irgendwann ohne Rücksprache zur Chefsache und Wladimir Putin zu seinem Busenfreund machte. Nicht ohne Auswirkungen auf Innenpolitik und Koalitionsklima übrigens, wie wir erfahren. Scheint doch abwechselnd das Vorbild Putins und des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac vor Augen Schröders Urteilsvermögen über Macht und Kompetenzen eines deutschen Bundeskanzlers allmählich gelitten zu haben. Eine erstaunliche Erkenntnis für einen, der als konkurrierendes Alphatierchen im Amt alles andere als frei von Selbstüberschätzung war. Und so kommt es, dass sich am Ende der Lektüre seines Buches fast ein wenig Wehmut über den Verlust des großen Zampanos einstellt. Auch wenn man es einem Wichtigtuer wie ihm zunächst einmal erst Recht nicht gegönnt hat, muss man nachgerade zugeben, dass in Anbetracht der internationalen Lage ein Joschka Fischer auf dem Posten von Catherine Ashton als oberster Repräsentant der E U-Außenpolitik sicherlich die bessere Wahl gewesen wäre. - Roland Detsch
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