Du, mein Licht in dunkler Nacht

Ein Liebesroman von Peter Althammer

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Die Flucht

Sheila saß mit Johnny und ihrer Mama beim Mittagessen im großen Saal am Familientisch.
»Johnny, wie kannst du es nur dulden, dass Sheila, und noch dazu im Schlafgewand, am Tisch sitzt. Du weißt doch, dass sie strengste Bettruhe von unseren Leibarzt verordnet bekam?«, sagte die Hausherrin etwas erzürnt.
»Mitnichten, Frau Roiger. Natürlich rügte ich sie längst dafür. Sie ist halt eine Roiger und hat in diesem Sinne ihren eigenen Kopf. Man sieht es ihr auch an.«, deutete er mit Absicht.
In den letzten Tagen hatte Sheila Johnny längst beigebracht, wie er sich seiner Schwiegermutter gegenüber zu verhalten hatte. Was er natürlich schamlos ausnutzte, natürlich nicht im bösen Sinne.
»Ach ne, was willst du damit sagen?«, kam die Frage.
»Na, ich meine, sie hat die Schönheit und Klugheit wohl von der Frau Mama geerbt, wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen.«, schmeichelte er, was das Zeug hielt, während Sheila über seine wörtliche Schlagkraft überwältigt war.
»Ach Sie sind mir ja vielleicht ein Schmeichler.«, entgegnete sie, während sich die Hausherrin durch das Haar griff.
Ja, da hatte Johnny genau ins Schwarze getroffen und vermutlich ab diesem Zeitpunkt ein Lichtlein in ihrem Herzen gewonnen. Die nächsten Minuten verliefen sehr gesprächig und vergnügt. Kein Wunder, da alle in der letzten Zeit so viel mitmachen mussten. Allesamt fühlten sich dementsprechend. Bis auf Johnny, er hätte gerne den Hausherrn in der Runde gesehen. Und kaum hatte er den Gedanken zu Ende gedacht, da stolzierte der Hausherr wie ein Pfau durch den Saal an den Familientisch heran. Hinter ihm sogleich Claudia, die ihm seine Garderobe abnahm, während er um ein weiteres Gedeck bat. Nun waren sie, nach des Hausherrn Meinung, vollzählig.
»Sheila, liege ich denn nicht richtig in der Annahme, dass du Bettruhe verordnet bekamst?«, fragte er so nebenbei, während eines der Dienstmädchen, Julia, dem Hausherrn das Gedeck auf seinem Platz ordnete.
»Ach Papa, ich hielt es einfach nicht mehr aus. Den ganzen Tag im Bett liegen zu müssen und das, obwohl ich mich wieder gut fühle. Mir taten schon sämtliche Knochen weh. Da musste ich einfach raus und mich etwas Bewegen. Außerdem wollte ich mit Mama und Johnny gemeinsam zu Mittag essen. Und wie du siehst, hat es sich ja allemal gelohnt, du bist ja nun schließlich auch da. Ich hätte mich richtig geärgert, wenn ich dich verpasst hätte.«, schmeichelte sie wie eh und je.
»Das zu sagen ist sehr lieb von dir, mein Kind. Und nun lasst uns Essen.«, sagte er. Nach dem Essen, die Damen zogen sich auf eine der so eleganten Sesselgruppen zurück, bot der Hausherr Johnny eine Partie Schach an, was der mit dem größten Vergnügen annahm. Sehr zur Freude des Hausherrn. Und während die werten Damen sich über dies und jenes unterhielten, erzielte der Hausherr in der Partie Schach einen gelungenen Zug mit dem er Schach meldete.
Da klingelte das Haustelefon und Claudia, stets in der Nähe, eilte mit flotten Schritten zum Telefon.
»Guten Tag, hier spricht die Haushälterin Claudia von Familie Roiger, was kann ich für sie tun?«, sprach sie wie aus dem Band gesprochen. Als sie nun hörte, wer da am Telefon war, wurde es ihr ganz komisch. Mit einer Hand verdeckte sie die Sprechmuschel, so dass die Polizei am anderen Ende nicht zuhören konnte.
»Herr Roiger, da ist die Polizei am Apparat und wünscht sie augenblicklich zu sprechen, sind sie da oder soll ich sie abwimmeln?«, fragte sie den Hausherrn, der sich nun über sie wunderte.
»Wieso, um alles in der Welt, meine liebe Claudia, sollte ich nicht an den Hörer gehen. Haben wir etwas zu verbergen, so frage ich dich?«, eine berechtigte Frage die da der Hausherr stellte.
»Äh, nicht dass ich wüsste.«, antwortete Claudia keck.
Herr Roiger nahm den Hörer ab und redete so leise, dass die nun ohnehin angespannten Damen fast nichts verstanden. Und nach einer Weile legte er auf, drehte sich um und wurde von einer auf die anderen Sekunde aschfahl im Gesicht. Wortlos ließ er sich auf seinen Platz fallen und schüttelte mit dem Kopf.
»Das gibt es doch nicht, das kann doch nicht wahr sein. Hört denn dieser Irrsinn niemals auf?«, redete er vor sich hin.
Johnny hingegen wartete erst einmal ab. Wie gewohnt, sah er es von einer nüchternen Seite aus. Also ließ er erst einmal der Hausherrin den Vorzug. Mit raschen Schritten ging sie auf ihren Mann zu.
»Gunther, was hast du, ist dir etwa nicht gut, mein Liebling. Was hat die Polizei denn gesagt?«, fragte sie aufgeregt.
»Stell dir nur mal vor, dieser verdammte Mistkerl ist den Beamten tatsächlich an der Grenze entwischt. Vier Beamte, und die lassen ihn einfach so abhauen. Das glaub ich einfach nicht.«, sagte er mit den Nerven sichtlich am Ende.
»Ja, aber ich dachte, sie sagten doch, dass er dort an der Grenze in einer Einzelzelle eingesperrt wurde. Nicht wahr Gunther, so ist es doch gewesen?«, fragte Adelheid ängstlich.
»Ja, das stimmt schon soweit. Aus dieser Zelle ist er ja nicht entwischt. Die Deutsche Polizei hat ihn von dort in Empfang genommen und in eines ihrer Fahrzeuge verfrachtet. Er hat sich nach wenigen Kilometern kurz nach der Grenze aus dem Staub gemacht. Er hat es irgendwie geschafft, dass er Austreten durfte. Stell dir vor, er musste mal, und nur einer dieser Anfänger ging mit ihm in die Büsche, wo er von ihm niedergeschlagen und ermordet wurde und anschließend das Weite suchte.«, erzählte er weiter.
»Ja, aber wieso ließen die das zu?«, fragte sie nach.
»Ach, was weiß ich denn. Dieser Wahnsinnige ist nun auch noch zum Mörder geworden. Der hat nichts mehr zu verlieren. Sie schicken uns innerhalb der nächsten zwei Stunden einen Streifenwagen vorbei, der sich dann die Nacht über vor unserem Anwesen postiert.«, berichtete Gunther weiter.
»Ja, aber du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass er es wagt, in unser Anwesen einzudringen, oder etwa doch?«, fragte Adelheid nun sichtlich nervös.
»Diesem Wahnsinnigen traue ich alles zu. Er hat ja schließlich nichts zu verlieren. Aber diesmal stehe ich vor ihm, wenn er es noch mal wagen sollte, meiner Tochter zu nahe zu kommen. Ich werde ihn mit meinen bloßen Händen erwürgen. Das schwöre ich beim Grabe meiner Mutter.«, beschwor er.
»Wir sind eigentlich zu zweit, schon vergessen Herr Roiger.«, sagte Johnny mit einem finsteren Blick. Mit einem Blick der nichts Gutes erahnen ließ.
»Ich danke dir, Johnny. Du solltest dabei eines nicht vergessen, dass dies mein Haus und meine Familie ist und ich habe die heilige Pflicht, meine Familie zu beschützen. Ich alleine bin für das Wohlbefinden meiner Frau und meiner Tochter verantwortlich.«, sprach der Hausherr klare Worte.
»Ich werde das nicht vergessen. Dennoch sollten sie sich mit einem, und das den Rest ihres Lebens, vertraut machen. Ich liebe ihre Tochter und ich respektiere Sie und ihre Frau. Ich werde einen Teufel tun und zusehen, wie dieser Karl in das Haus hier eindringt und versucht, Sheila etwas anzutun. Das gleiche gilt auch für Sie und Ihre Frau, der Haushälterin oder eines der Dienstmädchen.«, sagte Johnny unmissverständlich.
»Nun gut, tun Sie was Sie glauben tun zu müssen, ich jedenfalls kenne nun mein Ziel.«, sagte er etwas forsch, dennoch von Johnny beeindruckt.
Endlich hat sie einen Mann gefunden der nicht nur vor mir kuscht und Ja und Amen zu allem sagt, was ich befehle, dachte sich Gunther.
Johnny gefiel die Art und Weise, wie der Hausherr versucht, seine Nervosität herunterzuspielen. Ihm gefiel, wie entschlossen jener an aussichtslos scheinende Situationen heranging.
Wahrlich kein Feigling dieser Gunther. Hoffentlich riskiert er nicht zu viel, falls es diesen Karl doch noch gelingen sollte, ins Anwesen einzudringen. Ich sollte auch auf ihn ein Auge haben.
Erst spät fiel ihnen auf, wie zusammengekauert und schweigsam Sheila in ihrem Sessel saß. Ihre Augen spiegelten die schier pure Angst. Spät bemerkten alle, was sie dieser Frau, die erst vor kurzem von diesem Menschen, von dem sie sprachen, gepeinigt und geschunden wurde, antun. Johnny ging auf leisen Sohlen zu ihr und kniete neben ihr vor dem Sessel und hielt ihre Hand.
»Verzeih uns, Sheila. Wir sind alle Dummköpfe. Aber mach dir keine Sorgen. Er wird dir nichts antun können. Ich weiche nicht mehr von deiner Seite. Wir werden sogar zusammen auf die Toilette gehen, wenn es sein muss. Ich lasse dich nicht mehr aus meinen Augen. Das schwöre ich dir.
Sie umarmte ihn mit den Worten »Ich liebe dich, mein schöner Johnny.«
Ja, Johnny hatte eine Anziehungskraft auf Sheila, wie Eisenspäne auf einen Magneten.
»Ich vertraue dir. Mit dir und Papa habe ich nicht mehr so viel Angst. Es war nur, als ich diesen Namen Karl hörte, musste ich an die schreckliche Nacht denken. Oh Johnny, du darfst mich nie wieder so lange alleine lassen, schwöre es mir.«, forderte sie in ihrer Verzweiflung von ihm. Seine Antwort darauf erübrigte sich. Er würde sein Leben für Sheila geben und das ohne dabei nachdenken zu müssen. Dessen war er sich sicher. Und genau diesen Blick, den er Sheila zuwarf, sagte ihr alles. Sie schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln.
»So, nun hört alle zu. Claudia, wie viel Dienstmädchen sind zurzeit über Nacht hier?«, fragte der Hausherr.
»Von den ursprünglichen zwölf sind noch insgesamt vier hier, das wären Alice, Stella, Nicole und Julia. Elke und Sabine befinden sich noch bis Anfang nächster Woche im Urlaub. Der Rest kommt morgen früh um sieben Uhr.«, zählte sie auf.
»Danke für deinen ausführlichen Bericht, Claudia. Geh nun und hol die vier zu uns und schick den Koch gleich nach Hause. Ach ja, und versuch bitte, die restlichen Mädchen und den Koch für morgen zu erreichen und gib ihnen allesamt so lange bezahlten Urlaub, bis wir definitiv mit dem Fall Karl abschließen können. Und vergiss bitte den Gärtner nicht. Er soll morgen auch zu Hause bleiben. Ich möchte vermeiden, dass ihnen, sollte dieser Wahnsinnige doch hier eindringen, etwas passiert.«, sagte er mit Bedacht.
»Genau, außerdem könnte Karl sie als Geiseln nehmen und uns somit unter Druck setzen«, sagte Johnny berechtigterweise.
»Stimmt Johnny, daran hatte ich gar nicht gedacht. Wir sollten zumindest für heute Nacht, allesamt zusammen bleiben. Zumindest so lange, bis Karl gefasst wurde. Ich kann kein Risiko eingehen.«, beschloss der Hausherr vernünftigerweise. Doch seine Frau glaubte sich verhört zu haben und reagierte dementsprechend.
»Was, Gunther, das ist doch wohl nicht dein Ernst. Wer soll sich um das Haus kümmern und wer soll denn das Essen zubereiten, konstatiere ich.«, empörte sich die Hausherrin.
»Aber, aber, Adelheid, wir können uns doch gemeinsam etwas aus der Küche holen. Außerdem wird bis morgen schon keiner von uns verhungern. Und das Haus wird schon nicht gleich vom Feuchtschimmel befallen werden.«, antwortete er barsch und trank aus seinem Cognacschwenker einen kräftigen Schluck Weinbrand.
Diese Nacht war für alle sehr bedrückend. Da saßen sie nun, die sechs Damen und die zwei Herren und schwiegen sich aus. Totenstille beherrschte den großen Saal. Nur ab und an folgte ein Wort zu dem wieder aufgenommenen Schachspiel zwischen dem Hausherrn und Johnny. Die große alte Standuhr, sie stand unmittelbar neben der kleinen Minibar, die durch ihren Pendel mit gleichmäßigem Tick und Tack die Zeit verstreichen ließ, schien heute etwas langsamer zu gehen. Die Anspannung war deutlich zu spüren. Dann schrillte das Telefon in der Minibar erneut.
»Lass nur, Claudia, ich gehe schon ans Telefon, es ist ja doch wieder für mich. Gesagt getan.
»Ja, Herr Roiger persönlich am Apparat, sie wünschen«, fragte er aufgeregt. Inbrünstig hoffte Gunther, dass es eine gute Nachricht sei, die er nun hören sollte, doch weit gefehlt. Es war Hauptkommissar Eichner, der sich, in Anführungsstrichen, nur nach dem werten Befinden der Familie erkundigte und verkündete, dass sich Karl Schmidt noch immer auf der Flucht befand. Außerdem, dass ein Zivilfahrzeug mit zwei Beamten vor dem Anwesen bereit stand. Darüber hinaus fährt jede Stunde ein Polizeiwagen um das Anwesen herum, sozusagen zur Abschreckung. Am Ende des Gespräches bedankten sich beide Seiten und Gunther legte den Hörer wieder auf, ging zu seinem Platz und ließ sich wieder in den Sessel sinken.
»So, nun heißt es hoffen, hoffen, dass die Nacht schnell vorbei ginge und hoffen, dass Karl gefasst würde, bevor er versuchen würde, in das Anwesen einzudringen. Denn wenn es ihm gelänge, gäbe es mit Sicherheit einen blutigen Kampf in diesem Haus. Das war Gunther und auch Johnny von vorneherein bewusst. Da machte sich keiner etwas vor.
Mit einem Male stand der Hausherr auf und ging in Richtung des Foyers.
»Gunther, wo gedenkst du hinzugehen. Du hast doch nicht vor, das Haus zu verlassen.«, schrie Adelheid hinter ihrem Mann her. Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um, ging und beugte sich ganz tief zu ihr, nahm zärtlich ihr Gesicht in seine beiden Hände und sah ihr ganz tief in die Augen.
»Adelheid, ich gehe nach der Alarmanlage sehen. Ich möchte jedenfalls die Stromspannung im inneren Bereich kontrollieren. Sei lieb und setz dich wieder auf deinen Sessel.«, forderte er von ihr, während sie mit respektvollem Blick tat, was Gunther ihr sagte. Und das erste Mal kam kein Einwand aus ihren Lippen.


*


Zur gleichen Zeit: Karl saß im Auto, das er kurz nach seiner Flucht in der Nähe der Grenze gestohlen hatte. Er hatte nichts mehr zu verlieren und offensichtlich den Verstand verloren. Einen Mord hat er bereits begangen und ihm war klar, dass er sowieso lebenslänglich ins Gefängnis musste, sobald sie ihn zu fassen bekämen. Er war zu einer echten Gefahr geworden und er hatte nun eine Waffe, die er dem von ihm ermordeten Polizeibeamten wegnahm. Er stand längst unweit dem Anwesen zwischen vielen anderen Autos, stillschweigend und bereit, sich nicht nur an seiner verschmähten Liebe, sondern auch an der gesamten Familie Roiger zu rächen. Er bemerkte auch den immer wiederkehrenden Streifenwagen, der das Anwesen der Roigers zu umfahren schien. Da saß er nun, von krankhafter Eifersucht geplagt und vom Hass getrieben. Es fing an zu regnen und er hörte dem Klopfen der Regentropfen zu. Er wusste, dass er einen entscheidenden Vorteil der Polizei gegenüber hatte. Sie kannten sich nicht so gut wie er auf bzw. in dem Anwesen aus. Karl wusste sogar von dem inneren Elektrozaun. Und er kannte eine Stelle, an der ein Baum stand, von wo er über diesen Elektrozaun hinüberspringen konnte. Er spielte oft mit Sheila am Zaun, der ja tagsüber nicht unter Spannung stehen dürfte, Verstecken. Damals, als er Sheila kennen lernte und beide noch sehr verliebt waren. In dieser Zeit wohnte sie noch zu Hause. Er sah auf seine Uhr, die er rechts, und nicht wie die meisten auf dem linken Handgelenk trug, und verglich in etwa die Zeit, zu der der Streifenwagen an ihm vorbei fuhr. Sobald er nun den Wagen der Polizei um die Ecke fahren sähe, wollte er so schnell es nur ging über den ersten und äußeren Zaun springen, der nur bis zu seinen Schultern an Höhe reichte. Danach folgte eine Reihe von Lebensbäumchen, durch die er sich mit Leichtigkeit hindurchzwängen konnte. Erst danach folgte der innere Elektrozaun, wo er auf diesen Baum, der von außen durch die vier Meter hohen Lebensbäumchen nicht einzusehen war, aufklettern und sich dann auf die andere Seite hangeln und dann abspringen konnte, um so auf das innere Grundstück zu gelangen.


*


Trügerische Stille beherrschte noch immer den großen Saal. Nach einer Weile kam der Hausherr von der Kontrolle der Alarmanlage wieder zurück, um den Damen die Sicherheit des Hauses zu versichern. Dennoch und trotz aller Vorsichtsmaßnahen, gestaltete sich das Ausharren so langsam in einen Nervenkrieg aus. Selbst die zu Anfangs begonnenen Diskussionen zwischen den Damen begannen in einen handfesten Streit auszuarten, wo der Hausherr energisch einschreiten musste. Ja, die Nerven lagen blank. Kein Wunder, denn auf diese Art kompensierten einige ihre Angst vor Karl, der ja nun auch noch zum Mörder wurde und nichts mehr zu verlieren hatte.


*


Sofort als Karl den Streifenwagen um die Ecke fahren sah, er war bereits ausgestiegen, zudem noch ein Blick nach links und rechts, hangelte er sich mit einem mächtigen Schwung über den ersten Zaun. Dort, von seinem Sprung geleitet, landete er auf seinen Knien und zwängte sich in Krabbelstellung in die sehr engen und hochwachsenden Lebensbäumchen und zwang sich nur mit äußerster Kraftanstrengung durch sie hindurch. So gelangte er schließlich zirka einen Meter vor den elektronischen Zaun. Sofort bzw. ohne Verzögerung hielt er nach dem Baum Ausschau, wo er den Elektrozaun überwinden wollte. Hastig und verschwitzt suchte er mit seinen Blicken und erspähte ihn schließlich so zirka zehn Meter rechts von ihm. Er stand auf und ging zu diesem Baum, kletterte auf ihn und hangelte sich an dem überstehenden Ast entlang, der fast über den Elektrozaun führte, und sprang schließlich auf das Gründstück der Familie Roiger. Ganze drei Minuten hatte Karl benötigt, um in das für sicher gehaltene Grundstück einzudringen. Nun war er in der Lage, in das Haus einzubrechen. Auch dafür hatte er schon einen Plan. Oft ließ sich Karl, als er noch mit Sheila auf Besuch kam, durch den auserlesenen Weinkeller vom Hausherrn persönlich führen und bemerkte somit, bzw. ganz nebenbei, dass sich in diesen Gewölben keinerlei Alarmfunktion befand und es eine Leichtigkeit war, in diesen einzudringen. Geschützt durch das Feld der Rosenbüsche von Frau Roiger, kroch er durch die Seitenwege, die sich durch das gesamte Feld der Rosen zogen, und kam bis auf zirka sechs Meter an das Haus und somit unterhalb den großzügig geschnittenen Fenstern, die sich im französischen Stil präsentierten, heran. Mit mächtig großen Schritten und in geduckter Haltung schlich er sich an die Außenmauer des Hauses an, ging nach rechts entlang und verschwand aus der Forderfront in den seitlichen und hinteren Bereich des Hauses. Da stand er nun vor dem einzigen und nicht in Eisengitter gefassten Kellerfenster. Sofort zog er seine Jacke aus, umwickelte damit seine rechte Hand und ballte sie zu einer Faust. Mit einem kurzen und heftigen Hieb schlug er das Fenster entzwei. Vorsichtig entfernte er die restlichen Glassplitter und größere Scherben. Sogleich ergriff er nun den Seitengriff des Fensters, das sich von innen her öffnen ließ und drückte es auf. Mit den Füßen zuerst kroch er durch das nun geöffnete Fenster und ließ sich die etwa eineinhalb Meter in den Keller fallen. Da war er nun und lächelte in sich hinein. Seiner Rache sich vollkommen sicher. Ganz gemütlich knipste er das Licht an, so als wäre er hier zu Hause und hätte nichts zu befürchten. Sofort ging er zu den Weinflaschen, die ihm der Hausherr selbst voller Stolz zeigte und die ein beträchtliches Vermögen darstellten. Karl wusste sogar, welche dieser Flaschen die wertvollsten waren und vom Hausherrn niemals getrunken wurden. Jedes Jahr präsentierte der Hausherr diese Kostbarkeiten bei einer Marcelle Ausstellung in Frankreich und gewann schon viele Preise damit. Karl nahm eine Flasche und köpfte den Hals der Flasche, indem er sie einfach mit seiner Waffe in einem Hieb abschlug, und schüttete das kostbare Nass, ohne es mit den Lippen zu berühren, in den Schlund. Den Rest schüttete er einfach auf den Boden. Anschließend vernichtete er die restlichen Flaschen, bis das Regal der kostbarsten Weine leer war. Etwa dreißig Flaschen der teuersten Weine auf der ganzen Welt zerstörte er aus Hass und Schadenfreude. Damit, falls sein Plan, die Familie zu töten, schief gehen sollte, wenigstens der Hausherr vor Kummer an diesem Verlust sterben oder seines Lebens nicht mehr froh werden sollte.


*


Es bildete sich auf Geheiß des Hausherrn eine Runde. Sie stellten ihre Sessel in einer kreisförmigen Formation zusammen, so dass jeder wirklich jeden in seinem Blickfeld hatte.
»Jetzt fehlt nur noch das Lagerfeuer«, scherzte die Hausherrin, gezwungenermaßen. Dann hörten allesamt Schritte in ihre Richtung kommen. Es herrschte mit einem Male Totenstille. Kreidebleiche Gesichter konnte man in der Runde sehen. Weit aufgerissene Augen starrten hilfesuchend zu Johnny und dem Hausherrn, die längst von ihren Sesseln aufgestanden waren und sich nebeneinander bereitstellten. Bereit, ihr Leben zu geben. Bereit sich dem Eindringling, der nach ihrem Leben trachtete, entgegen zu stellen. Da stand er nun. Schmutzig, völlig durchnässt und mit zerzaustem Haar. Mit erhobener Waffe ging er langsam aber dennoch hoch konzentriert bis auf zwei Meter auf Herrn Roiger zu. Was er aber nicht bemerkte, dass Johnny sich blitzesschnell hinter dem Kreis der Sessel und Stühle flach auf den Boden legte und sich nun hinten herum in Richtung von Karl langsam aber stetig heranschlich. Das bekamen natürlich alle mit und der Hausherr hatte nun die gefährliche Pflicht, Karl so lange wie möglich von Johnnys Handeln abzulenken. Was genau Johnny vorhatte, konnte sich Gunther wohl oder übel vorstellen. Und er hatte panische Angst um ihn. Angst um seine Familie. Angst um alle hier anwesenden. Ihm war klar, dass er sein Geschick als Redner nun voll ausschöpfen musste.
»Na, sieh mal einer an. Eine Bande von Herrenmenschen, die sich gegenüber den restlichen Menschen auf dieser beschissenen Welt, für etwas ganz besonderes halten. Seit euch gewiss, ja, ich versichere euch sogar, dass allen hier Anwesenden von mir höchstpersönlich eine besondere Behandlung zuteil wird.«, drohte Karl und was er damit meinte, verstanden alle mit Entsetzen.
Immer näher schlich sich Johnny, ihm schlug das Herz bis zum Hals, an Karl heran. Er wusste, er durfte sich nur, und das äußerst vorsichtig, bewegen, wenn Karl oder Gunther sich unterhielten. Denn dann würden seine leisen, aber dennoch hörbaren Schleifbewegungen, die sein Körper verursachte, übertönt bzw. überdeckt werden.
»Karl, bitte, sei doch vernünftig. Noch hast du eine Chance, dein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Glaube mir, ich werde dir die besten Anwälte zur Seite stellen, die in dieser Stadt zu haben sind.«, sagte Gunther, um ihn zu besänftigen.
»So, das würdest du also für mich tun ja, wirklich?«, antwortete Karl zynisch, mit einem hinterhältigen Gesichtsausdruck, der alles aussagte. Mit einem Mal ging er auf Gunther zu und schlug ihn mit der Pistole auf den Kopf und noch in diesem Moment wollte Johnny zum Hechtsprung auf Karl ansetzen, da fiel Sheila zwischen dem Geschehen und warf sich todesmutig, schützend auf den am Boden liegenden Vater. Johnny hielt sofort inne, gerade noch rechtzeitig um Sheila nicht zu gefährden und nicht entdeckt zu werden.
»Karl, bitte tue meinem Vater nichts bitte, bitte, Karl ich mache alles, was du von mir verlangst.«, schrie sie ihn panisch an. Sheila wollte eher sterben, als mit ansehen zu müssen wie ihr Vater von Karl gequält oder sogar getötet würde.
»Aha, sieh einer an. Meine kleine untreue Hure meldet sich zu Wort. So, hast du es doch überlebt. Na, eines kann ich dir sagen, diesen Fehler werde ich natürlich korrigieren müssen.«, sagte er mit einem giftigen Unterton.
Dann stand Frau Roiger auf und ging mit einem apathischen, fest entschlossenen Blick auf Karl zu.
Um Himmelswillen, Adelheid, spiel jetzt nicht die Heldin. Dachte sich Johnny der von sich aus alles überblicken konnte. Die Situation schien außer Kontrolle zu geraten. Johnny wusste dass er hier nicht heil davon kommen würde. Er musste handeln, er musste jetzt handeln. Denn als sie auf Karl zuging, hob er gezielt die Waffe und spannte mit dem rechten Daumen den Hebel nach hinten, um nur noch abdrücken zu müssen. Er wusste nicht, ob Karl bluffen oder wirklich schießen würde. Doch um das herauszufinden, blieb ihm nun mal keine Zeit. Mit dem Mut der Verzweiflung sprang Johnny hoch und auf Karl zu. Karl drehte sich in diesem Moment pfeilschnell zu Johnny um und Schoss zwei mal. Doch Johnny gelang es noch, sich auf ihn zu stürzen und ihm einen Handkantenschlag auf den Kehlkopf zu verpassen. Beide fielen wie Steine zu Boden, während Karl, sich am Hals fassend, nach Luft rang. Jedoch Johnny rührte sich nicht mehr. Als das der Rest der Angestellten sah, stürmten sie todesmutig auf Karl zu und schlugen und prügelten auf ihn ein. Vor allem Claudia verpasste Karl einen Kinnhaken, der so perfekt saß, dass er bewusstlos, dass er ins Land der Träume geschickt wurde. Eines der Dienstmädchen machte genau das, was es machen sollte und rannte unter lautem Schreien aus dem Hause. Den langen Weg hinunter bis zum Ausgangstor, wo sich unmittelbar vor dem Tor die Zivilstreife aufhielt. Gemeinsam rannten sie den Weg wieder zum Haus zurück.
Währenddessen kniete Sheila vor Johnny und hielt seinen Kopf auf ihren Schoß. Er atmete zwar noch, wies aber keine Reaktion auf Sheilas rufen auf. Sheilas Schreie blieben für Johnny ungehört. Sein letzter Gedanke galt ihr, als er in seinem Befinden in ein tiefes schwarzes Loch zu fallen schien.
Eine Stunde später: Johnny wurde ins Krankenhaus eingeliefert und wird bereits notoperiert. Karl erholte sich schnell wieder und wurde unter strengster Bewachung in Sicherheitsverwahrung gebracht.
Sheilas Vater hatte außer einer großen Beule und Kopfschmerzen alles gut überstanden. Das tapfere und beherzte Eingreifen seiner Belegschaft, belohnte Gunther natürlich mit dem, wovon er am meisten hatte. Nämlich mit Geld. Jeder Angestellte bekam drei Euro die Stunde mehr. Was sich auf das gesamte monatliche Einkommen enorm auswirkte. Aber auch ein Dankeschön mit viel Sekt von Seiten der Hausherrin blieb nicht aus.



 Kapitel 22
© 2008 by Peter Althammer

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